Ruge Eugen
Dachfenster (100 cm) ein, welche alsbald Fischer Eberling aus Großzicker auf Rügen abholte und dafür eine Kiste Aal hinterließ, den er – natürlich illegal – in einer hinter der Garage versteckten Kammer geräuchert hatte.
Zwei dieser Aale verspeiste Nadjeshda Iwanowna, die erst kürzlich in der DDR eingetroffen war und ihre Anspruchslosigkeit unter Beweis stellen wollte (Esst ihr mal das gute Brot, für mich sind die Schlangen gut genug); drei Aale hob Irina für Sascha auf, der sie allerdings, wie er sagte, «aus Respekt vor dem Lebenswillen dieser Tiere» nicht essen wollte (früher hatte er immer Aal gegessen!); drei Räucheraale bekam der Fleischer, der Irina die berühmten «blinden Pakete» packte, deren Inhalt (aus Rumpsteaks, geräucherten Schweinefilets oder gekochtem Schinken bestehend) den anderen Kunden nicht offenbart werden durfte; drei bekam der Autoschlosser; einen der Buchhändler; und zwei schließlich eine ehemalige Kollegin, aus deren väterlichem Kleingarten jene getrockneten Aprikosen stammten, außerdem Quitten und dickschalige Winterbirnen, die Irina schälte und würfelte und zusammen mit den schon eingeweichten Aprikosen sowie halbierten Feigen aus dem Russenmagazin, Rosinen (die sie anstelle von Weintrauben benutzte), Esskastanien (die sie eigenhändig auf den Caputher Hügeln gesammelt hatte) und etwas strunkigen, deshalb feingeschnittenen Kuba-Orangen (die sie schlicht und einfach im Laden gekauft hatte!) in eine Pfanne gab, in reichlich Butter andünstete, mit armenischem Kognak ablöschte und als Füllung in ihre Weihnachtsgans stopfte, die sie nach einem dreihundert Jahre alten Rezept zubereitete und die, weil das Rezept angeblich von burgundischen Mönchen stammte, Burgundische Klostergans hieß.
Obwohl die Gans gut fünf Kilo wog, überfiel Irina, als sie das ausgenommene, gewaschene, gesalzene, angestochene und gefüllte Tier in den Ofen schob, die schreckliche Frage, ob es für alle reichen würde. Sie rechnete die Personen zusammen, es waren sieben: Außer Charlotte und Wilhelm war in diesem Jahr noch ihre Mutter dabei; und Sascha kam mit seiner Neuen.
Irina beschloss, auch die Innereien zu braten: Herz, Magen, Leber. Gewöhnlich briet sie die Innereien erst am nächsten Tag und verzehrte sie zusammen mit den aufgewärmten Resten der Gans im Laufe der Weihnachtsfeiertage – ein Hochgenuss! Irina liebte die bissfesten Magenwände und den süßlichen Lebergeschmack, wohingegen Kurt Innereien verabscheute, ebenso das Abnagen von Knochen; und auch Aufgewärmtes schätzte er nicht, wenngleich er es nicht zugab. Aber sie kannte ihn: Er aß nicht gern an zwei Tagen das Gleiche.
Irina schnitt die Innereien in Portionshäppchen, würzte sie kräftig mit Pfeffer, warf sie in eine Pfanne mit heißem Kokosfett und ließ sie auf kleiner Flamme brutzeln, während sie den Bratenfond vorbereitete, das Eigentliche, Wichtigste an der Klostergans: ein Gemisch aus Kognak, Honig und Portwein, das der Gans eine süße, halb aus Honig, halb aus Fruchtzucker bestehende, pechschwarze Kruste verlieh. – Nicht schlecht, wie die Mönche in diesem Burgund gelebt hatten. Wo war eigentlich Burgund?
Abgesehen von der burgundischen Gans war die Küche am Weihnachtstag deutsch. Außer Rotkohl und Grünkohl gab es noch Thüringer Klöße (die komplizierteste aller Kloßvarianten), Kartoffeln für Kurt, der keine Klöße aß, außerdem einen deftigen Rettichsalat als Vorspeise, rote Grütze als Nachspeise und selbstgebackenen Weihnachtsstollen zum anschließenden Kaffee – und das alles im Überfluss, denn nichts verabscheute Irina mehr als die Frage, ob es reichen würde. Ihre ganze Kindheit hindurch hatte sie sich diese Frage gestellt. Ihre ganze Kindheit hindurch hatte sie nach Brot angestanden; ihre ganze Kindheit hindurch hatte sie halbverfaulte Kartoffeln gegessen (denn immer wurden die halbverfaulten Kartoffeln zuerst gegessen, sodass man schließlich immer nur halbverfaulte Kartoffeln aß); ihre ganze Kindheit hindurch hatte sie bei Winterbeginn auf die ersten Starkfröste gewartet, weil das magere Schwein, das Oma Marfa das Jahr über mit Abfällen fütterte, in der Regel erst – dann aber in aller Eile – geschlachtet wurde, wenn ihm bei Außentemperaturen von minus fünfzig Grad in dem aus dünnen Brettern zusammengezimmerten Stall die Klauen erfroren waren.
Armes Schwein, dachte Irina.
Sie zupfte die äußeren Blätter des Rotkohlkopfs ab, nahm das große Messer, teilte, sich
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