Ruge Eugen
Chrysanthemen ins Zimmer kam, referierte Kurt bereits über seinen Weihnachtsbaum. Während er über seine Arbeit so gut wie niemals sprach, pflegte er buchstäblich über jeden Nagel, den er in die Wand schlug, ausufernde Vorträge zu halten.
Sascha fand den Weihnachtsbaum «vollkommen okay», während die Neue den Baum ungläubig anstarrte.
Kurt schlug vor, darauf anzustoßen, dass man sich endlich kennenlerne, er fragte die Kinder, was sie trinken wollten, aber die Neue wollte «einfach ein Glas Wasser». Kurt sagte:
– Mit Wasser stößt man nicht an.
Die beiden jungen Leute warfen einander einen Blick zu, bevor sie sich, fast im Chor, für «einen Schluck Rotwein» entschieden.
– Auf Weihnachten, sagte Kurt.
– Auf den Heiligen Geist, sagte Sascha.
– Danke für Ihre Einladung, sagte die Neue.
Und Irina sagte:
– Prost, ich bin Irina, und in diesem Hause wird sich geduzt.
Irina arbeitete stets bei offener Küchentür. Wenn nicht gerade das Fett in der Pfanne zischte oder eine Maschine ging, hörte sie die Stimmen aus dem Zimmer, meist die der Männer, zweimal Umnitzer – da kam so schnell keiner zu Wort, immer hatten sie sich etwas zu sagen, immer redeten sie sofort und laut aufeinander ein, hatten drängende Neuigkeiten auszutauschen, in diesem Fall, wie auch anders, über das Biermann-Konzert in Köln, während Irina, der dieser Biermann-Rummel allmählich zum Halse heraushing, den Grünkohl durch den Wolf drehte und über die Kleidung der Neuen nachdachte: über den langen braunen Cordrock, die braunen Wollstrumpfhosen – und was trug sie da eigentlich obenherum? Irgendetwas Unförmiges, Unfarbenes. Und wieso, wenn sie schon kurze Beine hatte, trug sie nicht wenigstens hohe Schuhe? Gefiel Sascha das? War das der Geschmack der neuen Generation? Irina dünstete Zwiebeln in Butter an, gab den Grünkohl dazu, füllte den Topf mit Blanchierwasser auf und machte sich an die Klöße.
Noch nie, dachte Irina, während sie rohe Kartoffeln zu reiben begann – für echte Thüringer Klöße brauchte man sowohl rohe als auch gekochte Kartoffeln (halb und halb oder, genauer gesagt, ein bisschen mehr rohe als gekochte) –, noch nie hatte sie einen Mann gekannt, der dicke Wollstrumpfhosen und Erdfarben bevorzugte. Männer bevorzugten doch ganz andere Farben! Männer waren scharf auf komplizierte Dessous, nicht auf Wollstrumpfhosen! Oder war Sascha anders? Anders als Kurt? Der auch mit siebenundfünfzig noch nicht zur Ruhe kam, immer noch nach anderen Weibern schaute …
Sie nahm einen Schluck Bier, aber das Bier schmeckte plötzlich schal. Irina kippte den Rest in den Ausguss und holte sich ihr Rotweinglas aus dem Zimmer. Es war gerade von Christa Wolf die Rede, großartiges Buch, warf Irina ein, obwohl sie das Buch noch gar nicht zu Ende gelesen hatte, aber sie hatte so viele Diskussionen darüber gehört, dass sie schon zu vergessen begann, wie sehr sie der umständliche Stil zermürbt hatte. Warum schrieb diese Frau so?, hatte sich Irina beim Lesen gefragt. Worunter litt sie, wo sie doch alles hatte, sogar einen Mann, der ihr – so hatte sie reden hören – den Haushalt besorgte.
– Großartiges Buch, sagte Irina, nahm zwei Züge von Saschas Zigarette, ging wieder in die Küche und machte sich an die Arbeit.
Sie drückte die Flüssigkeit aus der geriebenen Kartoffelmasse, gab diese in eine Schüssel und brühte sie mit heißer Milch ab. Dann schnitt sie ein paar daumenbreite Weißbrotwürfel und briet sie knusprig. Währenddessen begann sie den Rettich in grobe Späne zu raspeln – langsam wurden ihr vom Reiben die Finger steif. Ohnehin hatte sie sich die Hände beim Umbau des Hauses ruiniert, beim Schleppen von Steinen, beim Abladen von Zement – unglaublich, was in so ein Haus an Zement hineinging. Sie nahm einen Schluck Wein, schüttelte ihre Hände aus, und gerade als sie wieder die Reibe zur Hand nahm, erschien die Neue in der Küche: Ob sie helfen könne.
Aber Irina war so gut wie fertig, bloß die gekochten Kartoffeln für die Kloßmasse mussten noch gerieben werden – das ging allerdings leicht, und im Übrigen hatte sie nur eine Reibe.
– Oh, es gibt Klöße!
– Thüringer Klöße, erklärte Irina.
– Ich liebe Klöße, sagte die Neue und strahlte Irina an.
Nein, so hässlich war sie nicht. Ihr Gesicht war im Grunde ganz hübsch. Und wenn man genau hinschaute, entdeckte man unter dem Unfarbenen-Unförmigen sogar so etwas wie einen Busen. Man musste einfach mal mit ihr
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