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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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die entsetzliche That beschönigten? Wissen Sie, weiß ich, welche Prüfungen auch meiner Freundin noch aufgespart sind, wie viele von denen, die sie jetzt mit Aufmerksamkeit überhäufen, die so liebenswürdig, edel, sprechen und zu handeln scheinen, Ihnen in einem ganz anderen Lichte erscheinen werden!«
    Adelheid sah ihn verwundert an. Er war in Gedanken vertieft. – »Es war Unrecht von mir,« rief er plötzlich auf. »Die Vorsehung hat uns die schönen Illusionen als Pathengeschenk mitgegeben, damit wir Muth behalten. Sie selbst lüftet für Jeden nur so viel von dem Schleier, als er ertragen kann. Und Niemand hat das Recht, dem Andern die schirmende Decke fortzureißen. Vergebung! Kehren wir zur Iphigenia zurück.«
    Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tisch, sie schlug, ohne zu zaudern ein, und Beide mussten vergessen haben, daß sie eingeschlagen hatten, denn als er in seiner Rede fortfuhr, blieben die Hände noch immer auf dem Tisch.
    »Das Schrecklichste hat sich nun erfüllt, das Schicksal der Atriden liegt wie ein wüster Traum im Hintergrunde. Ein sonst edler Jüngling, der den letzten Blutschlag gethan, Orestes, ist der Träger des Fluches. Er wird von den züngelnden Furien gepeitscht, die nur in der Nähe des Heiligthums, wo der reine Gedanke, der Geist des Gottes herrscht, vor dem Zerrissenen weichen. Er ist geflohen von der Blutstätte, von den heimatlichen Gestaden, wo jeder Stein an die Geschichte seiner Ahnen mahnt, über Meere und Berge. Aber wie der Psalmist sagt: und nähme er Flügel der Morgenröthe, und flöge aus äußerste Meer, die Erinnyen folgen ihm. Da tritt Iphigenia auf, die, zum Opfer bestimmt, die Göttin schon früh mit gnädiger Hand aus dem Gräuelhause forttrug und zur Priesterin sich weihte. Sie ist das außerordentliche Weib, das den Fluch ihrer Geburt überwunden hat. Selbst längst entsühnt, ist sie bestimmt als versöhnende Priesterin zu walten. Schon hat die Macht der reinen, edlen Weiblichkeit sogar die Sitte der Barbaren gemildert und Thoas muß von ihr sagen:
     
    – es fehlt, seitdem du bei uns wohnst,
    Und eines frommen Gastes Recht genießest,
    An Segen nicht, der uns von oben kommt.
     
    Aber diesen Segen soll sie auch dem verlornen Bruder mittheilen. Der Athem ihrer reinen Brust soll den Wahnsinn auf seiner glühenden Stirne kühlen, die wüsten Bilder aus seiner zerrissenen Brust vertreiben. Er bekennt ihr den ganzen, vollen, entsetzlichen Fluch, der auf ihm lastet, er stürzt vor ihr nieder, als er sie erkennt –«
    Walter musste inne halten. Adelheid hatte plötzlich die Hand zurückgezogen und hielt sich die Brust. Dann fuhr sie sich über die Stirn.
    »Ist Ihnen wieder unwohl?«
    »Nichts, lieber Walter. – Fahren Sie nur fort, Sie erzählen so schön.«
    »Es ist doch wohl besser, wir setzen heut noch die Stunde aus.«
    »Nein, um Gottes Willen nein, heute muß es sein. Nichts bis Morgen wieder verschoben. Ich werde gewiß Muth bekommen. Es war nur die Vorstellung der Furien – ich möchte das Stück nie auf dem Theater sehen, so schön es ist.«
    »Aber Orest wird ja geheilt.«
    »Wer seine Mutter todt schlug!«
    »Lesen Sie liebe Adelheid, irgend eine heitere Rede der Iphigenia. Sie kann wie Balsam wirken.«
    Adelheid las, was sie zufällig aufschlug:
     
    »Das ist's, warum mein blutend Herz nicht heilt.
    In erster Jugend, da sich kaum die Seele
    An Vater, Mutter und Geschwister band;
    Die neuen Schösslinge, gesellt und lieblich,
    Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts
    Zu dringen strebten; leider fasste da
    Ein fremder Fluch mich an und trennte mich
    Von den Geliebten. – Selbst gerettet, war
    Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust
    Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.«
     
    Er nahm das Buch und schlug eine andre Stelle auf. Er suchte nicht viel, die Situation war ihm peinlich, er nahm die erste beste dithyrambische und sie las den Anfang des vierten Aktes:
     
    »Denken die Himmlischen,
    Einem der Erdgebornen
    Viele Verirrungen zu,
    Und bereiten sie ihm
    Von der Freude zu Schmerzen
    Und den Schmerzen zur Freude
    Tief erschütternden Uebergang:
    Dann erziehen sie ihm
    In der Nähe der Stadt,
    Oder am fernen Gestade,
    Daß in Stunden der Noth
    Auch die Hülfe bereit sei,
    Einen ruhigen Freund.«
     
    Sie hatte das Buch fallen lassen, sie war aufgestanden. An der Tischecke schwankte sie, sie wandte sich ab, dann rasch auf Walter zueilend, ergriff sie seine Hand:
    »Ich habe den Freund gefunden. Walter, Sie haben mich lieb?«
    Er

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