Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
empfindsamen Reden nesteln sie sich wie der Mehlthau an die Fasern und Fäden einer edlen Seele. Sie reißen die Brust auf, um Schmerzen zu zeigen, die sie erheuchelt, und indem sie das Mitleid aufrufen, spritzen sie Gift in die arglose Seele de Theilnehmenden.«
Sie sah ihn ruhig an, und schüttelte den Kopf: »Du kennst ihn nicht; den nicht. Nein, Walter, das war keine Täuschung. Er schüttete seine volle Seele, seinen brennenden Schmerz, seine Selbstanklagen aus. Und dahinter blieb nichts zurück, kein Fältchen. – Wie eines Wahnsinnigen Reden klang es ja: aber wie die Wahnsinnigen im Alterthum, sagtest Du, die Wahrheit verkündeten. So spricht Keiner, daß er unwürdig sei, so entsagt Keiner dem, was ihm das Liebste ist – so spricht Keiner von dem Stern, der ihm zu spät geleuchtet. So nicht vom Vaterlande, das untergeht, So klagt sich Keiner an, daß er zu früh verzweifelt und darum selbst in dem Sumpfe versank, wo keine Rettung ist. Ich reichte ihm meine Hand, ich sagte, ich wollte ihn aufziehen, er rief: berühre mich nicht, es ist zu spät! Walter, das vergess' ich nie, das klang wie das Parzenlied. Da ist ein edler Mensch verloren gegangen.«
»Verloren!« rief Walter, in sich hinbrütend, »das ist ein schrecklich Wort.«
Sie ergriff seine Hand: »Und darum, Walter, darum habe ich gesprochen, wie ein Mädchen nicht sprechen soll. Und nun betrachte mich wie Dein Eigenthum; ich bin ganz ruhig und zufrieden. Schalte und walte damit, wie Du willst, schilt mich, züchtige mich nicht, daß ich den Schleier der Schicklichkeit zerriß, daß ich nicht abwartete, bis Du gesprochen. Bin ich nicht auch, wie die griechische Fürstentochter, fortgerissen aus dem Hause der Eltern, in die Welt gestoßen? Mein Gott hat es so gewollt, daß das Schrecklichste, Unerhörteste an einem armen Mädchen vorüberging. Da ward sie eine andere. Und Du bist der Mann, an den sich das schwache Mädchen lehnt, Du der Einzige, den ich werth fand, mich ihm zu geben, wie ich bin. War's Recht oder Unrecht, nun ist's an Dir, zu entscheiden. Du aber bist nun die Säule, an die der Epheu sich rankt, Du der Freund, den mir die Götter erzogen. Du sprichst nun für mich. So an Dich mich schmiegend, will ich stehen, wenn neue Stürme drohen, und der Unglückliche, der Verlorene, wenn er wieder kommt: Deine Verlobte, Walter, wird, ruhig und heiter, nicht mehr erschrecken.«
Die Schwalben und die Bienen, und die Sonne in der Linde schauten auf einen Glücklichen und eine still Zufriedene. Ein Moment, von dem Dichter jener Zeit gesagt hätten, daß Götter Sterblichen darum beneiden könnten. Der Neid der Götter war immer gefährlich, aber auch jene Götter täuschten sich und wurden getäuscht. Sie schaukelten über dem Spiegel auf der See und sahen nicht den Sturm, der ihre Tiefe aufwühlte. – Ueber die Dächer tönte es vom Gensd'armenthurm. Die Lehrstunde war wohl zu Ende. Sie hörten mit Schrecken die Schläge. Es waren aus der einen Stunde drei geworden.
Das süße Geheimniß, was es für Andere noch bleiben sollte, durfte es nicht vor der Pflegemutter. Walter hatte es so gewollt. Adelheid erkannte seine Gründe an, aber sie seufzte, als sie aufstanden. Es war ein schwerer Gang.
An der Thür der Geheimräthin hörten sie ein Gespräch. Es war Wandels Stimme. Lisette, die hinzukam, sagte: Frau Geheimräthin wolle nicht gestört sein. – Adelheid athmete auf. Walter drückte ihre Hand: »Also ein andermal, theures Fräulein.« –
»Die sind auch einig,« sagte Lisette, nachdem sie die Flurthür hinter ihm zuschloß.
Dreiunddreißigstes Kapitel.
Auch eine Lehrstunde.
In dem Gespräch zwischen der Geheimräthin und dem Legationsrath mochte auch schon weit über eine Stunde verstrichen sein. Es war gewissermaßen auch eine Lehrstunde, aber vom ursprünglichen Gegenstande mochten sie ebenfalls weit abgeschweift sein. Wir fanden neulich die Geheimräthin in aigrirter Stimmung auf den bewunderten Mann. Jetzt saßen sie Beide im intimsten Seelenverkehr auf dem Kanapé. Die Aussöhnung war längst erfolgt. Am Morgen nach der Gesellschaft war er schon vor Mucius und vor Selle dagewesen, er hatte ihr von dem präparirten Aether gebracht, der sie wunderbar schnell gestärkt und hergestellt. Er hatte Mucius durch seine Kenntnisse, die er in bescheidene Fragen einkleidete, überrascht, daß der Doktor beim Weggehen geäußert: Das ist ein Tausendkünstler, Madame! Den müssten wir setzen lassen, daß er nicht ins Handwerk pfuscht.
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