Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
Vom Netzwerk:
Gast trat ein. Als er den Mantel abwarf und seinem Diener Anweisungen wegen des Abholens gab, erkannte sie in ihm den Fremden, dem sie vorhin auf der Hintertreppe begegnet war. Die Blässe seines Gesichts war durch die schwarze, seine Hoftracht nicht gemindert. Ein Mann in mittleren Jahren und stattlicher Figur, stieg er leicht mit den Bewegungen vornehmer Sicherheit die Treppe hinauf. Ein Ordensband und Kreuz schien unter der Halsbinde versteckt. Ein Band am Knopfloch deutete auf ein anderes Ehrenzeichen.
    Der Fremde hatte die Geheimräthin, die im Schatten der aufgehenden Thür stand, nicht gesehen. Einen Augenblick schien sie im Zweifel, ob sie nicht umkehren solle. Sie fühlte sich wieder wohl. Die frische Luft im Flur hatte wahrscheinlich gut gewirkt. Aber – es schickte sich nicht.
    Sie saß im Wagen. Die Thür schlug zu. Sie lehnte sich in die Ecke und – weinte. Weil es sich nicht schickte! – Darum? – »Und das heißt leben,« fuhr sie auf, »unter diesen langweiligen, nüchternen, abgeschmackten Puppen wandeln, sich kleiden, sprechen, die Gefühle und Gedanken zusammenhalten, damit ja nichts entschlüpft, was sich nicht schickt. Und darum leben wir!«
    Der Herr Geheimrath sind noch auf, hörte sie, im Hause angelangt, aber Sie haben befohlen, es soll Sie Niemand stören, Sie sind in einer wichtigen Untersuchung.
    Zum ersten Mal, seit wie langer Zeit! fühlte die Geheimräthin ein Verlangen, ihren Mann zu sehen. Er war doch etwas anders, als die Larven in der Gesellschaft. Er liebte die Menschen in seinen Büchern; im Vergleich mit Jenen war er ein freier Mann, denn von dem Gesetz des Sichschickens, was diese tyrannisirte, hatte er sich losgemacht. Hatte er doch auch, als sie vor langen Jahren nach Italien reisten, geschwärmt, wie er es konnte, wenn nicht für Kunst und Natur, doch in dem reichen Trümmerlande für die Wege, welche Horaz geschildert, für die Ruinen, welche die Sage nach ihm nennt.
    Das waren nun längst vergangene Dinge. Die Geheimräthin schwärmte nicht mehr für Italien. Sie wäre einmal gern nach London oder Paris gereist; jetzt auch vielleicht nicht mehr. Berlin war ihr unausstehlich, aber sie wusste nicht, wohin sich wünschen.
    Sie wollte ihren Mann sehen, irgend etwas mit ihm sprechen, was sie nicht an die Gesellschaft erinnerte. Vielleicht traf sie doch auf einen Ton, wo ihre Seelen zusammenklangen.
    Er sah nicht auf, als sie eintrat. Er hörte auch nicht die leis geöffnete Thüre, nicht das Rauschen ihres Kleides. Den Lichtschirm vor den Augen, die Feder im Munde, saß er zwischen zwei Folianten, in denen seine Finger als Zeichen lagen, um die Varianten in jedem Augenblick aufschlagen zu kennen, und seine Augen flogen von der einen zur andern Stelle. Sie trat näher; auch da keine Regung. Mit unterschränkten Armen betrachtete sie ihn. – Ist das ein Mensch oder eine Pagode? – Sie schritt langsam im Kreis um ihn, ohne sich zu sehr Mühe zu geben leis aufzutreten; aber die mit Heu dicht unterstopfte Decke verrieth sie nicht. In einem Moment war es ihr, als ob sie auflachen müsse; im nächsten, als müssten die Thränen ihr aus den Augen stürzen. Sollte sie ihn anreden? Das hieße einen Nachtwandler aus seinem Traum aufrufen. Erst als sie sich wandte, um hinauszugehen, wehte er mit der Hand. Es war als ob instinktartig eine Ahnung ihn überkommen, daß ein Wesen in der Nähe sei, das ihn stören könnte.
    Leise hatte sie die Thür wieder zugedrückt. Durch das Flurfenster schien der Mond auf die Rumpelkammer, durch die der Weg nach ihrem Schlafzimmer führte. Die wunderlichen Ecken und Spitzen der alten Möbeln starrten sie im Mondenlicht eigenthümlich an. Es überfuhr sie ein Schauer, sie lachte, um sich Luft zu machen, hell auf. Aus den Winkelu schien es ihr zu antworten.
    Die Jungfer hatte die Nachtlampe in ihrer Schlafstube hingestellt. Der Geheimräthin war es zu dunkel. Sie musste die Kerzen auf dem Armleuchter anzünden. Sie war beim Entkleiden ungehalten, sie behauptete, die Jungfer verfahre mit Absicht ungeschickt. Sogar entfuhr der sanften Frau der Vorwurf: sie steche sie aus Bosheit. Die Jungfer weinte. Die Geheimräthin hielt ihr eine ernste Vorhaltung, ob das ein Grund sei, um Thränen zu vergießen? Sie erinnerte sie an die vielen leidenden Kreaturen, denen der Schöpfer nicht einmal eine Stimme gegeben, um zu klagen. Wenn Jeder klagen wollte, was ihn drückte, ob es in der Welt vor Gewimmer und Thränen auszuhalten sei! Die Geheimräthin fragte sie mit

Weitere Kostenlose Bücher