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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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Würde, ob sie glaube, daß die armen Mädchen mehr litten als die vornehmen Damen, die ihre Schmerzen verhalten müssten? Sie ermahnte sie zur Duldung, zum Gehorsam, zur Tugend, und entließ sie.
    Die moralische Vorhaltung schien auf die Predigerin selbst keine Rückwirkung geübt zu haben. Sie saß entkleidet an ihrem Bett, das Gesicht im Ellenbogen gestützt, und starrte in die Lichtschnuppen der Kerze. Da fiel ihr Auge, den Lichtstrahlen folgend, auf ein Spinnengewebe am Winkel der Zimmerdecke. Es war Freitag. Das Reinigungsgeschäft sollte erst am Sonnabend erfolgen. Die dicke Spinne, die sie heut nicht zum ersten Male bemerkt, lag schlafend in der Mitte des Raubnetzes, das sie ausgespannt, gesättigt und erschlafft, schien es, von dem Mordgeschäft, worauf die todten Fliegen im Netz deuteten. Die Geheimräthin stand auf und nahm den Armleuchter. Ihre Augen waren scharf, ihr Arm aber reichte nicht bis an die Decke. Ein Kitzel, die Nemesis zu spielen, überkam sie. Die Bäume im Hofe, vom Winde bewegt, schlugen gegen das Fenster. Das war doch keine warnende Stimme! Es war ja kein Unrecht, ein solches mörderisches Ungeziefer zu vertilgen, das selbst seine Netze ausspannt zur Vertilgung seiner Mitgeschöpfe. Sie holte einen Stuhl. Auch der war zu niedrig. Sie schleppte mit Anstrengung einen Tisch heran. Warum that sie es mit angehaltenem Athem, warum bemühte sie sich, ja kein Geräusch zu machen? Warum schlich sie auf den Zehen, da sie schon in bloßen Füßen ging? Warum pochte ihr Herz, als sie auf den Stuhl und vom Stuhl auf den Tisch stieg? Die Spinne regte sich nicht. Nur das Gewebe schaukelte etwas, wie eine Hängematte vom Hauch des Lichtes angeregt. Draußen rauschten wieder die Aeste. Hätten sie die Spinne geweckt, vielleicht hätte die Geheimräthin sie geschont. Was schonen! Morgen vollbrachte es der Besen der Magd.
    Wer ihr ins Gesicht gesehen, wie die Augen glänzten, die Lippen sich krampfhaft verzogen! Jetzt war's geschehen. Ein Knistern. Die Spinne, zusammenglühend, schien sich einmal zu krümmen, dann flackerte das Netz in leichten Flammen auf und der verkohlende Körper schwebte nieder. Die Geheimräthin schloß, krampfhaft zurückfahrend, die Augen, als sie einen heftigen Schmerz empfand. Die schief gehaltene Kerze hatte einen heißen Wachstropfen auf ihren bloßen Fuß gespritzt.
    Die Aeste rauschten zum dritten Mal. Es war der Grabesgesang. »Die hat ausgelitten! Sie empfindet keinen Schmerz mehr! Und wie leicht und schnell!« sagte die Geheimräthin. Ihr Fuß musste ja noch morgen bei der zarten Komplexion ihres Körpers empfindlich schmerzen.
    Jetzt aber schmerzte er sie nicht. Sie empfand ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rausches verwandt war. Sie hatte eine Kreatur, die doch zum Tod verdammt war, rascher aus der Welt geschafft, als es morgen der stumpfe Besen der gefühllosen Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie hatte ihr einen seligen Tod bereitet.
    Sie suchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an den Wänden unzählige Fliegen, die der regnerische Tag hineingetrieben. Noch vorsichtiger schlich sie auf den Zehen heran, und es glückte ihr, die erste, zweite, auch eine dritte durch das schnell angehaltene Licht zu tödten. Morgen würden sie langsam, unter furchtbaren Qualen am Fliegenstock verenden; jetzt im Lichtschein, im Taumel, waren sie einen Augenblick erwacht und verglüht.
    So musste auch Semele in einem Moment glückselig und todt sein, angeleuchtet von Zeus' Lichtglanz und verbrannt von der Wonne – dachte die Geheimräthin.
    Aber nicht alle Fliegen wollten diesen seligen Tod sterben. Als sie der einen die Flügel angesengt, und das Insect summend aufflog, löste sich allmälig der Schwarm von den Wänden. Sie summten um das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin stand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers, mit dem freien Arm die aufgestörten Thiere abwehrend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu Muthe. Die Thiere wurden so groß und schwarz und mit feurigen Augen; sie kamen ihr wie die Erynnien vor. In dem Augenblick wünschte sie, sie hätte nicht angefangen.
    Sie wollte das Licht auslöschen, sich ins Bett vergraben und die Decke über den Kopf ziehen, aber sie fürchtete sich ohne Licht. Da hörte sie die Stimme ihres Mannes, der draußen die Thüre öffnete: »Johann, ich will zu Bett gehen.« Aber Johann hörte nicht, auch nicht auf den wiederholten, verstärkten Ruf. Johann hatte sich auf ihr Geheiß zu

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