Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
eingegangenen Schriftstücken blätternd und sie zum Vortrag ordnend. Im entfernteren Winkel stand der Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt, die sich sehr bescheiden in der Ecke zwischen Fenster und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch welche sie auch vermuthlich der Kammerdiener eingelassen, denn nach Beendigung der Audienz schlich sie durch diese Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine Garderobe, aus den kostbarsten und auffällig modernen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum schienen ihr eher ein Anrecht aus einen Platz auf dem Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der sehr wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle sich schickte. Einem Psychologen hätte vielleicht schon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr aber ins Gesicht sah, wo trotz aller Sanftmuth und Glätte die ursprüngliche Gemeinheit sich nicht verbergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegenüber übers Herz bringen würde. Er stand, die Hände in den Seitentaschen, halb seitswärts, halb ihr den Rücken kehrend, wodurch sie freilich Gelegenheit gewann, ihr Anliegen auf dem nächsten Wege ihm ins Ohr zu flüstern. Sie sprach leise. Er hatte mehrmals den Kopf geschüttelt. Dann sprach er, gleichfalls mit gedämpfter Stimme: »Gedulden Sie sich also bis Lombard kommt; er kann die Sache allein arrangiren. Und bis dahin hüten Sie sich, daß keine Klage einläuft. Keinen Skandal! In dem Fall wollen wir die Sache schon hinhalten.«
Die Supplikantin verbeugte sich tief. Er klopfte ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die Hand küssen. Das litt er nicht.
Der junge Rath las von einem Zettel den Namen der nächst zur Audienz aufgeschriebenen Person. Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand und warf sich, die Beine übereinander, aufs Sopha, ein Zeichen, daß er sich erholen wolle; vielleicht glaubte der Vortragende darin eines für sich zu erkennen, daß Bovillard sich über die vorige Audienz auszulassen Lust hatte.
»Was wollte denn die Schubitz?« fragte er, zwischen den Papieren kramend. »Eine Eingabe von ihr ist nicht da.«
»Man will sie in der Behrenstraße nicht länger dulden. Sie soll ihr Haus verlegen – in eine minder anständige Straße,« setzte der Geheimrath mit sarkastischer Miene hinzu.
»Wer will denn das, wenn ich fragen darf?«
»Erinnern Sie sich, was
le grand Frédéric
dem alten Spalding antwortete? Der beklagte sich auch über eine Nachbarschaft, die ihn in seinen Meditationen störte, und Friedrich schrieb nur auf den Rand des Memorials:
Mon cher Spalding, ni vous ni moi .... pourquoi donc gêner d'autres ....
Unter Friedrich hätte die Behrenstraße petitioniren können, bis sie aschgrau ward.«
»Auch unter –« der Rath verschluckte es, denn der Geheimrath unterbrach ihn.
»Das muß man Wöllnern lassen. Er wusste christlich ein Auge zuzudrücken, wenn – es die Schwäche seines Nächsten galt.« Er betonte die letzten Worte.
Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung zum Lächeln übersehen. Er lächelte jetzt. »Aber wer kann es sein?«
»Wer! Wer?
Mon cher!
Haugwitz vielleicht, oder Lucchesini, Schulenburg, oder Beyme, der Cato Censorinus. Vielleicht ist auch Prinz Louis Ferdinands sittliches Gefühl beleidigt.«
Der Geheimrath gefiel sich so, daß er aufstand und mehrmals durch die Stube schritt: »Ja, ja, es hat sich so manches in Preußen geändert.«
»Und wird noch manches anders werden,« setzte der Rath hinzu.
»Gewiß, wenn man uns in Ruhe lässt, wenn man verständig denkt und handelt; wenn man auf die Kläffer nicht hört, wenn, wenn – was liegt noch vor, lieber Rath?«
»Herr Geheimrath ließen gestern fallen, daß Ihnen eine Notiz im Hamburger Unpartheiischen, bezüglich auf Lombards Depesche, nicht unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine Feder und mein Wille stehen zu ihrer Disposition.«
Bovillard setzte sich halb auf den Tisch, indem er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes legte; die Runzeln seines Gesichtes verzogen sich in ein wohlgefälliges Lächeln:
»Mich hat seit lange kein Brief so erquickt!«
»Lombard muß Wichtiges berichtet haben,« bemerkte der Beamte. »Nach den Aeußerungen des Herrn Geheimraths gestern zu mehreren Geschäftsmännern herrscht unter den Kaufleuten eine sehr frohe
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