Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
ging, zu jeder Tageszeit; man war willkommen und empfangen, ohne angemeldet zu sein, und konnte verschwinden, ohne daß es bemerkt ward. Englischer Komfort schien mit französischer Anmuth und Leichtigkeit gepaart. Aehnliches hatte man in Berlin noch nicht gesehen; man beredete es, aber gefiel sich darin. Keine Thür war verschlossen, die Wände schienen von Krystall; es ist aber damit nicht gesagt, daß nicht doch manche Thür unter der Tapete versteckt, und der Krystallspiegel eine Wand verdeckte, hinter die zu blicken nicht erlaubt war. Die Fürstin hatte sich neuerdings zu einem längeren Aufenthalt eingerichtet. Alle Welttheile hatten ihre Produkte, Kunstfertigkeit und Erinnerungen beigesteuert, um die Zimmer auszuschmücken. Das Hetrurische und Pompejanische, vor Kurzem die Modepuppe, ward hier paralysirt durch das Chinesische und Hindostanische. Porzellanfigürchen, Pagoden und Pfauenwedel; dazwischen die rein geschnittenen Schönheitslinien eines griechischen Basreliefs, römische Kaiser und Mohrenköpfe auf echten Konsolen, neben Federkronen von den Sandwichsinseln und urweltlichen Gerippen, Schamanenmäntel und Bogen und Köcher der naturwüchsigen Völkerschaften Sibiriens.
Die Ostentation alles dieses Apparates war wenigstens nicht auffällig, ein gewisser Geschmack hatte in der Vertheilung obgewaltet, Licht und Schatten waren gehörig vertheilt, oder vielmehr der Schatten waltete ob, indem das Fensterlicht in den meisten Zimmern durch schwere Vorhänge und Vorsatzstücke gedämpft war. In schwarzen Rahmen hingen zwischen den andern Raritäten Landschaften in Wasserfarben, römische Ruinen, zerstörte Kirchhöfe, Hünengräber, bemooste Krucifixe darstellend, über dem Meer hing der Mond in Nebelwolken, oder die Sonne ging auf, und beleuchtete trauernde Gestalten oder Knieende um ein bekreuztes Grab. Auch sah man näher den Thüren bereits einige der schmal geschnittenen Holzbilder, auf deren Goldgrund jene hagern, kindlichen Figuren mit den Unschuldsköpfen sich präsentirten, die erst später in Berlin zur ästhetischen Anbetung kommen sollten. Die modernen Besucher gingen noch ziemlich theilnahmlos an diesen florentinischen Stücken vorüber, während die Mondscheinskreuze, die verdorrten Kränze an den eingefallenen Gräbern manchen Seufzer oder aus schönen Augen eine Thräne lockten. »Der Stufen zur Erkenntniß sind viele,« pflegte die Fürstin zu sagen, »und deren nur wenige, die, vom Strahl erleuchtet, sogleich die höchste besteigen.«
In den tiefern Kabinetten verbargen sich oder lockten größere Heiligenbilder, betende oder angebetete Madonnen, Märtyrer, in ihren Verzückungen lächelnd, der Heiland am Kreuz. Da in der verschwiegenen Nische auf einem schwarz mit Silber überhangenen Altar ein Krucifix von Ebenholz, der Heiland daran feinste lucchesiner Elfenbeinarbeit. Als Piedestal zum Krucifix diente ein künstlicher dürrer Fels aus Achat, zu Füßen desselben eine kleine Oeffnung, aus der, gespeist von einem verborgenen Wasserreservoir, eine Quelle sprudelte. Das Wasser floß in einen antiken Sarkophag. Antik wenigstens die Vorderseite, deren heidnische Basreliefs freilich wenig mit dem Quell und seiner Bedeutung korrespondirten, aber es war eine Antike, ausgegraben auf einem der Güter der Fürstin in der Krim, und das Heidnische an den Bacchantinnen sollte vielleicht durch den frisch hinein gemeißelten russischen Doppeladler purificirt werden. Neben der sinnigen Deutung hatte der sprudelnde Quell auch eine ganz praktische Bedeutung; das kühle mit Epheu umrankte Kabinet ward durch das springende Wasser zur angenehmen Retirade in heißen Sommertagen.
In einem der helleren Zimmer, mit Magdalenenbildern an der Wand, der Boden ausgelegt mit reichen orientalischen Teppichen, und schwellende Divans an den Wänden, saß die Fürstin mit der Baronin Eitelbach. Die Märtyrer und andere Heiligenbilder in den dunklern Gemächern mochten schlechtere Kopien oder Trödelwaare sein, die Magdalenen waren vortreffliche Kopien nach Correggio, Battoni, Murillo und Anderen, in der Größe der Originale und in dem blendenden Farbenglanz, der keine Nachdunkelung sehen ließ. Kostbare Goldrahmen umschlossen diese Stücke, und ihre Gruppirung war so geschickt, daß überall das richtige Licht darauf fiel. Es war das sorgfältigst und elegantest ausgeschmückte Zimmer der fürstlichen Wohnung.
»Das Fräulein wollten eben ausfahren, um, wie sie sagten, Luft zu schöpfen,« berichtete der Diener. »Wenn
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