Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Licht, das ihnen leuchtete, durch den finstersten Wald des Zweifels ihnen den Weg zeigte, wo ihr Haus, das die Müden und Beladenen aufnahm, wo das Geläut der Himmelsglocken, die sie mit Engelszungen in Schlaf einlullten, wo der Schlafpelz, die weiche Bärenhaut, in die sie sich hüllten, und alle Sorgen waren vergessen! Wo in aller Welt können diese Verirrten, Heimatlosen, anklopfen in ihren Aengsten, ihrer Zerrissenheit, um den Trost zu finden, den nur die Gewißheit giebt! Was hilft's ihnen, wenn sie sich von des Teufels Krallen gepackt fühlen, und der gelehrte Herr mit den Päffchen setzt die Pfeife fort, um vornehm herablassend der armen Kreatur mit rationalistischer Salbaderei zu demonstriren, daß der Teufel wahrscheinlich nicht existirt. Um etwas Gewisses, Festes, Sicheres schreien sie, und er setzt ihnen eine Schüssel Schlangeneier vor, aus denen, statt eines, tausend Zweifel schlüpfen!«
Diesmal war es der Legationsrath, welcher nicht Acht gegeben. Er hatte mit seinen Augen einen Punkt fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürstin am Handgelenk: »Ein Blutfleck!«
Der Aermel ihres Mousselinkleides trug unverkennbar die Spuren eines darauf gespritzten Tropfens. – »Ich habe es wirklich nicht gesehen.« – »Aber Andere werden es sehen. Um des Himmels willen, wechseln Sie das Kleid, ehe es Jemand bemerkt. Adelheid –« »Interessiren Sie sich so für das Mädchen?« sprach die Fürstin, der die Unterbrechung nicht unerwünscht zu kommen schien, indem sie den befleckten Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigener Ton, in dem sie fragte, der bare Gegensatz zu dem Affekte, in welchem das Vorige gesprochen war.
»Nicht im geringsten. Ich interessire mich für den Gegenstand, der Ihr Interesse erregt hat. Da ich Ihre Absichten ahne, muß ich wünschen, daß jeder Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der Unschuld trüben dürfte, entfernt würde.«
Sie sah ihn scharf an: »Sie sind die Uninteressirtheit selbst. Und doch – zuweilen fällt vor meinem Auge Ihre schöne Hülle ab wie Staub und Moder, und das nackte Gerippe starrt mir entgegen; das Herz von chemischen Agenzien zernagt. Aber glauben Sie nicht, daß ich erschrecke. Ich betrachte gern die Natur in ihrem geheimsten Schöpfungsprozeß, wie sie ihr Schönstes und Bestes muthwillig selbst vernichtet. O, immer zu, die Natur ist eine elende Kammerzofe des Mysteriums, aus dem die Gnade leuchtet. Immer zu, mein Freund, sich selbst verzehrt, bis der Durst brennend, unerträglich wird! Dann verlangen auch Sie nach dem Quell. O, welche Kämpfe wird es Ihnen kosten, wie wird diese Stirn rollen vor stolzem Zorn, wie diese Riesenbrust toben vor unaussprechlicher Pein, wie werden Sie wüthend mit der Faust dagegen schlagen, ringend einen Gigantenkampf mit dem Selbstbekenntniß, bis – bis der Riese krachend zu Boden stürzt, und wie ein Kind an der Mutter Brust liegt! Wie werden Sie schlürfen, unersättlich an dem Born der Gnade!«
»Mais en attendant?«
sagte der Legationsrath. – »Rührt Sie denn nicht Adelheids Schönheit?« – »Daß ich nicht wüsste.« – »Mir unerklärlich, mein Herr großer Sünder. Anfänglich hielt ich es für Verstellung, Sie wollten mich täuschen. Jetzt haben Sie mir nicht allein die Beruhigung gegeben, sondern auch das Räthsel zurückgelassen, daß das Mädchen Sie kalt lässt. Ist sie Ihnen eine zu vollkommene Schönheit?« – »Kunstkenner gehen auch an vollendeten Meisterwerken vorüber.« – »Weil nur die sie interessiren,« fiel sie ein, »die Mängel haben. Ist's der Egoismus des kritischen Sinnes, der immer korrigirend schaffen möchte?« – »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sagen Sie, eine Antipathie gegen was man reine Unschuldsseelen nennt. Es überkommt mich ein Frösteln in Gegenwart solcher jungen Mädchen.« – »Ich begreife es, weil ich es mitfühle. Aber –« »Sie selbst kajoliren die Nymphe.« – »Sie wissen, warum.« – »Und eben deshalb wundre ich mich, daß Sie dem jungen Bovillard den Zutritt in Ihr Haus erleichtern.«
Die Gargazin sah ihn schadenfroh an: »Für die Naivheit möchte ich Sie küssen.« – »Sie protegiren ihn nicht?« – »Wenn man Erz schmelzen will, braucht man Feuer.« – »Wenn man aber das Feuer über den Kessel schlagen lässt, kann es leicht kommen, daß das Erz überläuft und verdorben wird.« –
»Qu'importe!«
sagte die Fürstin und stäubte an dem Fleck am Aermel. »Was nennen Sie verdorben werden?« – »Ich scheue nicht vor
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