Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Damen nicht mehr nach Hause fahren. Ihre Retter führten die Erschreckten langsam, bis eine leere Kutsche ihnen begegnete.
Adelheid wusste nachher nicht, was der Rittmeister mit ihr gesprochen, sie wusste selbst nicht, ob es der ihr wohlbekannte Rittmeister gewesen, an dessen Arm sie ging. Sie wusste nichts von sich auf dem viertelstündigen Wege. Erst als man sie in den andern Wagen hob, fühlte sie einen Händedruck. Walters Stimme flüsterte fest, aber nicht rauh und kalt: »Zum Abschied, Adelheid! Nun bist Du frei.«
Die Damen hielten ein gegenseitiges Schweigen für die beste Unterhaltung auf dem Rückwege. Adelheid hatte sich fest in ihren Shawl geschlungen, obgleich es eine laue italienische Nacht war und die Baronin ihr Tuch abwarf, um sich nicht zu echauffiren. Das junge Mädchen musste frieren, ihre Zähne klapperten, und es waren wohl Phantasieen, wenn die Baronin oft die Worte hörte: »Nur keine Lüge mehr!«
Sechszigstes Kapitel.
Die Wollust der Märtyrer.
Das war dem glänzenden Gesellschaftsabend vorangegangen.
Es war noch etwas Anderes vorangegangen – im Souterrain des Hauses. Wer die liebenswürdige Wirthin sah, wie sie mit mädchenhafter Grazie den Gästen entgegeneilte, und über das unerwartete Erscheinen von Dem und Jenem fast kindlich erfreut schien, konnte an der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln. »Wenn sie es auch nicht so meint, ist es doch angenehm, daß sie es so zeigt!« Aber er konnte nicht ahnen, wie diese Augen, aus denen Wohlwollen und Güte blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schauspiel, ich sage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmslos stier. Auch das passte nicht, vielleicht mit der Wollust eines gesättigten Raubthiers, das seines Opfers Blut fließen sieht.
Der Kutscher hatte es allerdings verdient. Mit einer milderen Züchtigung wegen des ersten Unfalls auf der Potsdamer Chaussee davon gekommen, rief sein Ungeschick heute auf der Charlottenburger die exemplarische Strafe hervor, welche der Haushofmeister ihm diktirt. Auf Ordnung muß ein Herr und eine Herrin im Hause halten. Es war die Ordnung, daß der dienstvergessene Leibeigene von zweien andern eine Lektion empfing, deren Maß nur unsere Begriffe und die Kraft unserer Nerven übersteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um nach Handhabung der Ordnung zu sehen, verstieß nicht absolut gegen die Sitte. Nur daß sie, mit verschränkten Armen an der Kellerthür stehend, so lange zusehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu zucken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleischten ein Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthümliches Lächeln schweben konnte, während ein seltsamer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn wie vor Freude sich röthete, das musste einen besonderen Grund haben.
Es hatte auch einen. In Gedanken versunken, in Phantasieen, die sie interessiren mussten, schien sie eigentlich, was geschah, vergessen zu haben. Sie hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der Ukraine übersehen, der einen Augenblick inne hielt, in der Meinung, es sei genug. Ein Sklave darf keine Meinung haben; als sie nicht gewinkt, fuhr er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen. Der Zoll von Herrendienst, den sie dem Kutscher abentrichteten, war gewiß nur eine Vergeltung für viele ähnliche, die Jener bei anderer Gelegenheit ihnen geleistet. Es hätte schlimmer werden können, wenn nicht der französische Kammerdiener der Fürstin zugeflüstert: »
Madame la princesse, je crains que les cris de la bête ne pénètrent pas les oreilles de Mademoiselle Alltag. Elle fait sa toilette tout près de l'escalier.
« Da war die Fürstin aus ihren Träumen erweckt worden. Etwas unangenehm, schien es. Die Alltag durfte nichts hören. Sie hatte den Exekutoren rasch gewinkt, inne zu halten; sie wollte ungehalten sein, daß man sie nicht früher aufmerksam gemacht, aber sie sagte, der Anblick sei rebutant. Sie hatte etwas von
pauvre homme
hingeworfen, und Anweisung gegeben, ihn gut zu pflegen, damit er bald wieder seinen Dienst verrichten könne.
Und sie hatte noch eine unangenehme Ueberraschung gehabt. Der Kammerdiener hatte ihr auch etwas vom Herrn Legationsrath zugeflüstert, was sie damals überhört. Oben fand sie ihn in einer Anwandlung von Ohnmacht auf dem Kanap
é.
»Possen! oder was ist das?« fragte sie verwundert, als er sich durch die Tropfen erholt, die sie aus ihrem Flacon gesprengt, und
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