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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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hier lässt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin.« Eine Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf den Bänken schlafen müssen. Jeden braucht man, wozu er gut ist, und so lange er dazu gut ist. Mich staffirt man aus mit allem Glanze, so lange es sich lohnt. Wenn ich nicht mehr hübsch bin, nicht singen, Musik machen, nicht mehr tanzen kann, nicht mehr muntere Antworten gebe, nicht mehr die Herzen entzücke, dann wirst man mich fort, wie jedes andere unnütze Werkzeug. Sie hat so wenig ein Herz für mich, als die Lupinus. Und die Andern! Sehe ich denn nicht, wie man mich abschätzt? Gehöre ich zu diesen Erwählten? Fühle ich nicht unter ihren Komplimenten und schmeichelnden Reden heraus, was ich ihnen bin, was ich ihnen wäre ohne den geliehenen Lustre? Rümpfen diese vornehmen Damen nicht die Nase, wenn ihre Töchter mich einladen, mich mit ihren Freundschaftsversicherungen überschütten? Zittern die Mütter nicht, wenn die Söhne mir zu viel Aufmerksamkeit erwiesen? Nahte sich mir denn mit ernster Absicht in der langen Zeit nur ein edler Mann aus diesen Kreisen? Herr von Fuchsius ist ehrlich genug: er trat bald zurück, weil ich kein Vermögen besitze. Die Andern sagten es nicht, aber ich lese ihre Gedanken. Mitten im Zauberwirbel der Geselligkeit, der Pracht und rauschenden Lust, bin ich eine Fremde, mitten in den Schaaren, die mich umdrängen, eine Gemiedene. »Wer wird sie denn nehmen!« hörte ich eine vornehme Dame zu einer andern flüstern, nachdem sie nachher nicht Worte genug gefunden, mir Schönes zu sagen. »Sie ist doch nur eine Gesellschafterin,« erwiderte die Andre; »ein vornehmer Lockvogel.« – »Dann kommt zuletzt doch noch Einer, der erste Beste,« setzte die Andere tröstend hinzu. »Und unter der Haube ist unter der Haube.«
    »Warum hört Adelheid auf das Geschnatter!«
    »Weil ich es hinter ihrem geschlossenen Munde lesen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte – erschrick nicht, Louis, vor dem Wort, es ist nicht so übel, es sind viel bessere als ich, ich könnte zuweilen sogar stolz darauf sein. So stolz, daß ich auch meines Gleichen suche. Brauchst Du noch Beruhigung um Deinen Freund, so wisse, ich hätte jetzt Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber nun steht er mir auch so hoch da, daß ich den stillen, reinen Strom seines Lebens durch meine Berührung nicht trüben, nicht stören darf und will. – Du bist mein Retter. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir sind beide Fremde, Mißverstandene, Gemiedene, Ausgestoßene, und unsere Herzen schlagen zu einander. Das hinter uns lassen wir ruhen, und blicken – wir flüchten Beide – in eine bessere Zukunft.«
    »Wie Du selbstquälerisch Dich erniedrigst,« sprach er, ihre Hand an sein Herz drückend. »Wenn der gerechte Richter die Wage hält, ist die Schwere Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft sich wiegt.«
    »Die Welt ist kein gerechter Richter; sie wägt auch nicht die Schuld, sie wägt nur die Verhältnisse ab. Auch der gerechte Richter fragt, was ich bin, nicht was ich hätte sein können. Was bin ich denn! Nicht hier, nicht dort eine Wahrheit! Ein halbes Kind, herausgerissen aus dem elterlichen Hause, lernte ich tänzeln, ehe ich gehen konnte, Komödie musste ich spielen, ehe ich von dem etwas wusste, was ich spielen sollte. Ehe ich eigen gedacht, empfunden, gelebt, lernte ich reflektiren. Die schlichte Bürgerstochter, plötzlich gestoßen in Kreise der ersten Geister und der vornehmen blasirten Menschen, musste ich Angelerntes hersagen. Louis, erschrickst Du nicht, wie ich rede! Ist das die natürliche Sprache eines zwanzigjährigen Mädchens? Soll, darf sie reflektiren, wie ein Mann, der die Lebensschule durchgemacht hat! Ich erschrecke oft vor mir selbst; ich schaudere, wenn ich in den Spiegel sehe. So haben sie mich herausgeschraubt zu einem unnatürlichen Dasein. Ich frage mich oft in Stunden der Verzweiflung: kann mich wer so lieben? wer sich mir so vertrauensvoll hingeben? Statt eines kindlichen Mädchens eine, die die Schlechtigkeit der Menschen im tiefsten Grunde kennen gelernt –«
    »Aber unberührt von ihr blieb. Deine schöne Natur hat gesiegt.«
    Sie strich ihm die Locken aus der Stirn: »Sei ehrlich! Wäre es Dir nicht lieber, wenn ich ein Kind wäre, das arglos, neckisch, vertrauensvoll sich in Deine Arme würfe? So

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