Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
gerufen. »Wir müssen scheiden!« – »Bei einer Leiche! Das ist ein böses Omen, Adelheid.« – »Ein gutes!« rief sie an seinem Halse. »Auch der Tod soll uns nicht erschrecken, auch der Tod nicht trennen!«
Die Fürstin war sehr blaß. Mit gläsernen, durchwachten Augen starrte sie das junge Mädchen an, aber nicht verwundert, sie noch wach zu finden. Sie fragte auch nicht woher sie komme. Es war eine innere Bewegung, als sie Adelheid an sich drückte und sie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem Sopha zu schlafen. Sie hatte gelesen, das Buch war ihr entfallen, und sie hatte böse Träume gehabt, oder Visionen, wie sie sagte. Man sah, sie fürchtete sich in der unheimlichen Einsamkeit des grauenden Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau wecken. Die Fürstin schüttelte den Kopf: »Thun Sie es diesmal selbst mir zu Liebe.« Sie zitterte heftig, als Adelheid sie entkleidete; sie hatte nie die Fürstin zittern gesehen. Auch war sie seit lange nicht so zärtlich gewesen. Als sie ihr zum Schlafengehen die Hand drückte, sprach sie: »
A propos,
ich vergaß Ihnen zu sagen, die Königin hat sich wieder durch die Voß nach Ihnen erkundigen lassen. Bereiten Sie sich vor, bei nächster passender Gelegenheit werde ich Sie der Majestät vorstellen. Sie werden ihr sehr gefallen.«
Die aufsteigende Sonne konnte nicht durch die schweren Jalousieläden in das dunkle Zimmer dringen, sonst hätte sie auf dem Sopha ein sehr frohes Gesicht gesehen. Das Lächeln blieb, als Adelheid einschlief. Sie hatte sich bis heut vor der angekündigten und immer wieder aufgeschobenen Vorstellung vor der Königin gescheut. Heut träumte sie, daß Engel sie zu ihr führten.
Als Louis Bovillard in sein Zimmer trat, goß die Tageskönigin ihr erstes Roth durch das Fenster. Alle Gegenstände waren purpurn, am leuchtendsten aber sein Gesicht, als er in dem Goldschein Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerst glauben, es sei ein Traum. – Er zerdrückte eine Thräne, die sich über die Wimpern schleichen wollte, riß das Fenster auf, schlürfte die wonnige Morgenluft ein und warf sich dann lächelnd aufs Sopha. Es war am späten Vormittag, als er erwachte, aber sein Gesicht lächelte noch immer.
Zweiundsiebenzigstes Kapitel.
Verfallene Wechsel.
Wer nicht beobachtet sein will, verhängt seine Fenster. Wer Geheimes schafft, verstopft auch die Schlüssellöcher. Das weiß ein Dummkopf, aber den Klügsten, welche den Luftzug berechneten, der durch ein Mauseloch dringen mag, passirt wohl, daß sie vergaßen, den Schlüssel in der Thür umzudrehen. – Weise sagen, wenn den Klugen das nicht zuweilen passirte, wär's in der Welt nicht auszuhalten; die Affekte, die sie unbesonnen handeln lassen, seien das Salz, welches das Leben vor der Fäulniß schützt. Behaupten doch noch Weisere: wenn alle Menschen verständig wären und Charakter hätten, müsse die Welt vor lauter Reibung in Flammen aufgehen. Der Legationsrath von Wandel wollte heute gewiß nicht beobachtet sein. Er war in seinem Laboratorium, eine kleine alte Küche nach dem Hofe hinaus, die, unbenutzt zum gewöhnlichen Gebrauch, an seine Zimmer stieß. Es war kaum nöthig gewesen, die Fenster mit Matten zu behängen; durch ihre, alle Farben schillernden, mit Staub und Spinneweben umzogenen Scheiben wäre kein Blick gedrungen. Hier durfte kein Diener Ordnung schaffen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es ward Niemand eingelassen, außer bei besonderen Gelegenheiten der Assessor und Apotheker Flittner, der Geheimrath Hermbstädt und andere bekannte Chemiker. Aber dann hatte die Küche ein etwas verändertes Ansehen. Um irgend ein glänzendes Experiment zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgestellt, es war der übrige Apparat mehr theatralisch geordnet. Auch wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an der Wand hingen, beseitigt. Wahrscheinlich saß auch der Legationsrath nicht ganz in dem Kostüm wie heute vor der Retorte – in Hemdsärmeln, weiten Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen Bund gewickelt, auf der Nase eine große Brille mit Ohrenklappen, und mit einem seidenen Halstuch, das über die Lippen und halb über die Ohren ging.
In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er schob das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann schien er dem Kräuseln des Rauches, der sich in den Schlot verlor, mit Aufmerksamkeit zu folgen. Das erste Experiment musste geglückt
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