Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Fürstin auf der Chaussee langsam auf und ab rollte. »Nun bist Du doch zufrieden,« hatte sie gesprochen, und mit der Hand die Falten aus seiner Stirn geglättet. Er hatte geschwiegen, und seine Zufriedenheit in einem Kuß auf ihren Arm gehaucht. – Jetzt fuhr sie wieder mit der Hand über seine Stirn: »Kalt und feucht! Die Abendlust könnte Dir schaden!«
Die Nachtvögel zeigten ihnen den Weg. Sie flatterten, an die hellen Scheiben der Glasthür die Köpfe stoßend. Trüb brannte das Licht im kleinen Gartenzimmer. Sie hatten sich noch so viel ohne Zeugen zu sagen. Es war still im Hause, nur aus dem Souterrain tönte dumpfes Geflüster der Leute, die Fürstin saß in ihrem Armstuhl und hörte über den Thomas a Kempis nicht, wie Adelheid durch die Thür blickte. Aber als sie zurückkehrte, hörte auch Louis nicht ihr Kommen. In sich zusammengesunken, saß er auf dem kleinen Kanapé. Es war nicht die Erwartung, von der der Dichter gesungen.
Erst ihr Arm, der sich sanft um seinen Nacken schlang, erweckte ihn. »Noch immer – Walter! Ist das recht!« sprach sie. »Der ist glücklich!« seufzte Louis. »Glücklich!« Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. – »Ist's die Lerche nicht, die in den Morgennebeln nach der Sonne steigt. Ist's der Träumer nicht, der die ganze Menschheit an die Brust schließen möchte! Ich möchte sie lieber erwürgen!« – »Sprich nicht so. Das ist der Nest Deiner Krankheit.«
»Vielleicht ein anderer Nest!« – Er blickte starr vor sich nieder. »Bin ich nicht ein Feuerbrand, bestimmt, was er anrührt, zu zerstören! Sie hatten's mir verhehlt, aber ich erfuhr es: als ich geboren ward, hab' ich meine Mutter umgebracht. Der Zerstörungstrieb war die Mitgift an meiner Wiege, und hat sie nicht in meinem Leben lustig gewuchert! Meinen Vater – doch davon still. Ich ward ein wüster Mensch auf der Universität, nicht so ganz schlecht als Andere, aber indem ich gegen die Schlechten losging, ward ich ein Störenfried unter den Guten. Die Guten sagen, um das Leben gut zu machen, muß man sich vertragen lernen, auch mit den Schlechten. Ich habe es nie gelernt. – Ich habe in's Leben gerast. Ich
wollte
Niemand vernichten, und wie Viele habe ich zertreten. Kennst Du denn mein Leben, Adelheid? Soll ich das Alles herausziehen aus dem Sumpfe, denn zwischen uns muß Wahrheit sein. Wie sie mich aus den Häusern gestoßen, auf der Straße mir auswichen, mit den Fingern auf mich gezeigt, bis –«
»Bis Du Dich selbst aufrafftest!«
»Nein, bis ich auch Dich ins Verderben riß – damals – bis ich auch den einzigen, den treuesten, wahrsten Freund nun um sein Heiligthum betrügen muß. Was ich berühre, opfere ich. Soll ich es hinnehmen, wie die Götter der Alten an dem rauchenden Blut der ihnen geschlachteten Menschen sich weideten! Was ist's denn in mir, frage ich, dies düster glühende Auge, das Zucken meiner Lippen, der nie gestillte Durst meiner Seele, daß mir das Beste, Köstlichste aufbewahrt ist! – Nun ich siech bin, trostlos hinter mir, trostlos vor mir, willst Du blühendes, junges, reines Leben Dich an den morschen Stamm ranken, ich soll, muß Dich zerstören, weil Du mein bist. – Ja, Walter hat Recht, nicht für ihn, aber Du bist auch nicht für mich.«
»Für wen denn?« sprach sie, und der Ernst, der aus Louis' Worten hauchte, schien plötzlich auf sie übergegangen. Aber Louis' Ernst war ein düsterer, ihre Worte waren ein sonorer Metallklang. Er hatte es nicht gesehen, wie sie in krampfhafter Erschütterung den Arm von seiner Schulter zurückgezogen hatte, und das Gesicht mit beiden Händen bedeckte. So setzte sie sich in die andere Ecke des Sopha's, und eine Pause trat ein.
»Weinst Du? Habe ich Dich gekränkt, Adelheid?«
»Ich weine nicht,« sagte sie im selben Tone, »und Du kannst mich nicht beleidigen. Ich dachte nur über mein Schicksal nach, und – bei Deinen Worten brach es heraus, ach, von so lange her! Louis, das Schicksal schleudert mich ja in Deine Arme. Was würde ich denn, was bin ich? O, mein Gott, es ist schrecklich, wenn die Binde so mit einem Mal von den Augen fällt!« – »Du bist die gefeierte –« »Puppe von – ich weiß nicht wie Vielen. War ich denn nicht herausgerissen auch dem Schooß meiner Familie, dem Glück, der Bildung, für die ich geboren war, haben sie nicht Alle an mir gearbeitet, mich zu erziehen, der Eine so, der Andere so, um aus mir zu machen, was ich nicht war, um mich zuzustutzen zu etwas, sie wussten selbst nicht, was, aber ihr
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