Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
hab' ich nicht gesehen, das haben sie mir gesagt. Nämlich darüber hat er die Balance verloren, und drei Stufen rutschte er, und hätte ihn der Andre nicht gehalten, wäre er gefallen. Da schrie es: ›Lichter aus!‹ Aber da hatten sie schon auf den dritten gestoßen, der helfen kam, und der kriegte den Schuß. Das hörte ich poltern. Und da riefen sie von unten: ›Licht! Licht!‹ Aber dann schrien sie wieder: ›Nein, kein Licht!‹ Der Bediente aber, der oben gehuckt, war nun wie ein Satan zugesprungen, dem Mann hatte er die Kerzen ausgeblasen und stieß ihn, daß er in die Stube zurückfiel. Aber nun stellen Sie sich vor. Ich, wie ich meine, daß er reintreten muß, war mit dem Pfeil aufgesprungen und stoße ein Bischen ans Kohlenbecken; derweil aber ist sie schon rausgesprungen, und eh' ich mich's versehe, krieg' ich's um die Ohren: Du – die Schimpfworte will ich gar nicht sagen – das ist ja zu früh! Darüber purzelt der Altar um, und die Kohlen kullern. Nu wär' noch alles gegangen, aber die kleinen Engelchen, nämlich die Amoretten, sind angestoßen von ihr, wie sie rausspringt, nämlich die großen Tannenbäume, und wo sie hinschlug, wuchs kein Gras. Diese Engelchen waren nun runter gerutscht vom Ast, aber weil sie angebunden sind, konnten sie doch nicht runter, also zappelten sie Ihnen und schrieen Ihnen gottserbärmlich.«
»Ach Gott, die armen Kinder!« rief Adelheid.
»Und im ganzen Hause schrieen sie, und das war ein Thürenklappen: Herr Gott, was ist denn los? – Da schreit's mit einem Mal Feuer, und der Nachtwächter tutet, und es war auch Feuer, denn die Kohlen waren an die Gardine gekommen, und die brannte hell auf. Na, der Mann, das muß man ihm lassen, schnell wie der Wind, runter die Gardine, ausgetreten, aber auf der Straße hatten sie den Schein gesehen, und nun tutete es durch die Stadt noch eine Stunde.«
»Aber die armen Kinder! Was ward aus denen?«
»I, die haben sie runter geschnitten und links, rechts ein Bischen, dann nach Haus. Ich kriegte auch 'nen Katzenkopf; da musste man schon nicht drauf sehn. Aber der Mann und die Frau, nein, ich sage doch, wenn gemeine Leute ohne Bildung in Rage sind! Einer auf den Anderen los, daß er's verdorben hätte. Mit dem silbernen Leuchter schlug er ihr ins Gesicht; sie hatte ihm aber vor den Bauch getreten, das muß man auch wissen. Todt geschlagen hätten sie sich und Gott weiß was, wenn nicht die Polizei kam; die riß sie auseinander.«
»Die Polizei!« Es überrieselte Adelheid, sie war schon aufgestanden. Sie hatte die Polizei nur auf dem Markte gesehen, oder wenn sie einen Dieb einbrachte, aber sie wusste doch, daß es etwas Schlimmeres war, wo die Polizei kam.
»Gott sei Dank, die kam aber erst, als der Herr fort war. Das war noch ein Glück. Aber der Bediente und der Andere konnten kaum den Einen fortschleppen, so war er auf die Hüfte gefallen. Hatte sich was gebrochen. Und der Herr trägt's heute noch –«
Sie verstummte plötzlich. Im Eifer der Erzählungslust hatte sie nicht bemerkt, daß der Kammerherr von St. Real im Zimmer stand.
Er verbeugte sich ehrerbietig vor Adelheid: »Verzeihen Sie, mein Fräulein, wenn ich auf einige Augenblicke die Frau Obristin Ihrer Unterhaltung entziehe. Nur einige dringende Worte –«
Adelheid erklärte, sie wolle nicht stören, sie müsse nach Hause. Warum sie das musste, wusste sie selbst nicht, aber sie musste, das war ihr klar. Den eigentlichen Zusammenhang der Geschichte hatte sie nicht gefasst; ihre Aufmerksamkeit war bei den armen Kindern haften geblieben, die mit Stricken am Baume hingen. Sie dachte an die unglücklichen Geschöpfe, welche die Seiltänzer ihren Eltern stehlen und die auf immer verloren gehen. Wie herzergreifend hatte die Frau Obristin im Dorfe erzählt. Es war der Gedanke des Verlorengehens, die Vorstellung, daß ja ein ganz unschuldiger Mensch zufällig in dem Hause hätte sein können. Mein Gott, wenn auch sie Jemand dahin geführt hätte, um das Bild zu sehn, und dann der Feuerlärm, die Polizei! Es drückte sie centnerschwer. Die Bilder an der Wand schielten sie so seltsam an, so herausfordernd, fast alles mythologische Darstellungen; sie hatte sie früher nicht genau betrachtet, jetzt schlug sie die Augen nieder. Wenn sie nur erst hinaus wäre, wollte sie die Mutter bitten, sie nie wieder in das Haus zu lassen.
»Ich kam in der Absicht,« sagte der Kammerherr, »das Fräulein um die Ehre zu ersuchen, Sie in meinem Wagen zu Ihren Eltern zurückfahren zu
Weitere Kostenlose Bücher