Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
die Augen nieder, wenn ein Herr zu ihnen sprach, aber da verstanden sie auch zu bitten, und da waren die Herren auch generös.«
»Man soll die Herren nicht rupfen. Das haben
ma chère tante
immer gesagt. Na nu, ist's nu nicht wahr?«
»Sie unverschämtes Geschöpf! Was das für Reden sind in meinen Apartements! Wenn's Ihr nicht mehr gefällt, werd' ich Ihr 'nen Stuhl vor die Thür setzen. Dann mag Sie sehen, wo's Ihr besser gefällt. Denn überhaupt soll's anders werden bei mir. Ja, ja, meine Damen, das merken Sie sich, ich will keine Pension, wo das pöbelhafte Wesen nicht rausgeht. Ein Wort kostet mich's, und Sie wird nach Spandow zurückgeschafft, Mamsell Karline, da, wo ich Sie herholte, auf den Kietz. Wird's Ihr besser gefallen, barfuß im Kahn und Plötzen schuppen, oder Winters beim Kienspahn Netze flicken? Ihre Finger sahen ja aus, mit Respekt zu sagen, wie Pfoten, roth und geborsten, und hab' ich das für meine Mühe, daß ich sie mit Mandelöl und Kleie weich kriegte und in Handschuhen schlafen ließ! Sag' ich doch, wer Dank säet, der wird Undank ernten.«
Es klingelte, der Chokoladengast stand im Zimmer. Ein Livreebedienter, der die verfeinerte Haushaltung der Frau Obristin seit einigen Tagen repräsentirte, hatte Adelheid abgeholt.
»Nein, sage ich doch, nicht wie ein Fräulein, wie eine Prinzessin. Und mit jedem Tag, möcht' ich sagen, gewachsen!«
»Das kommt nur vom langen Kleide,« lächelte Adelheid, und war mit raschem, sicherm Schritt, nach einer flüchtigen Begrüßung der Tante, zu den Nichten geeilt, die sie mit der natürlichsten und zuvorkommendsten Herzlichkeit küsste. Sie schalt und bedauerte, daß sie gar nicht zu ihr kämen; die Nichten waren verlegen. War's der scharfe Blick der Tante, war's die überwiegende Erscheinung des in der Fülle ihrer Schönheit strahlenden Mädchens. Aber der Strahl aus dem klaren Auge goß in die getrübten der unglücklichen Geschöpfe von seinem Licht. Sie fühlten sich in einer andern Atmosphäre, die etwas von ihrem heilenden Balsam auch auf sie träufelte.
Die Obristin hielt es für gut, allein das Wort zu führen. Ihre Lippen flossen über vom Lobe der braven Eltern, die wohl mehr zu thun hätten, als solchen Besuch zu empfangen. Sie wisse wohl, was der Herr Kriegsrath und die Frau Kriegsräthin für die Erziehung ihrer Tochter thäten, und da wäre es ja ausverschämt, sich aufdrängen wollen. Aber um so mehr schätze sie es und rechne die Ehre sich an, daß sie ihrem Lieblingskinde erlaubt, sich ein Stündchen in ihrem schlichten Hause zu gefallen. Sie wäre nun eigentlich in rechter Verlegenheit, worüber mit einer solchen feinen Dame sprechen, die so viel schon wisse, und noch viel mehr von solchen Lehrern lernen würde.
Adelheid war ihrerseits aber gar nicht mehr in Verlegenheit. Sie, was man nennt »kappte« die Obristin durch kurze natürliche Antworten, und schon vor der Chokolade war das Gespräch im lebendigsten Gange, denn es betraf das neue, feine Kleid, das der Vater ihr geschenkt und die größte Aufmerksamkeit der Nichten erregte. Das Zeug, der Laden, wo es gekauft, der Kaufmann, seine Waren, Preise, es ward alles ausführlich behandelt, die Krone der Verwunderung aber blieb, daß Adelheid und ihre Mutter es selbst zugeschnitten und genäht, »und sitzt wie angegossen,« rief die Tante, »nu seht, wenn Ihr das könntet! Und Mamsell Kriegsräthin thut's nur zum Plaisir. Denn ihr Herr Vater würde ihr ja gern den ersten Schneider ins Haus schicken, und später werden ihr ganz andere Leute Kleider machen lassen. Ja, ja!«
Das Lächeln der Obristin gefiel Adelheid nicht, auch mißfiel ihr, daß die Tante immer, um sie herauszustreichen, ihre Nichten demüthigte. Ohne sie zu beachten, erbot sie sich deshalb gegen Jülli, wenn sie ein neues Kleid bedürfe, es ihr zuzuschneiden, auch, wenn sie es wünsche, ihr Unterricht im Schneidern zu geben, so gut sie es eben könne.
Die Tante war von dem Anerbieten sehr gerührt, bei der Jülli könnte es vielleicht noch anschlagen, aber die Karline wäre gar zu faul: »Wer den Unterricht zu schätzen weiß, und was lernt, aus dem kann alles werden, und oft habe ich ihnen das gesagt. Nun sehen sie es mal mit Augen vor sich. Ja, mein liebes Engelchen, – verzeihen Sie schon, Fräulein Adelheid, daß ich so zu Ihnen rede, aber ich kann gar nicht anders, wenn ich Ihnen ins liebe Gesicht sehe, – ja, das muß ich Ihnen auch sagen, seit ich die Ehre habe, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, da ist
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