Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
mit Ihnen auch schon eine Veränderung vorgegangen. Ach, Sie haben einen vortrefflichen Lehrer.«
Adelheids Gesicht leuchtete auf: »Kennen Sie ihn?«
»Habe nicht die Ehre, aber ich wollte wetten, er heißt Cupido.«
»Nein, er heißt van Asten. Und seine Stunden sind gar nicht wie Stunden. Es plaudert sich so fort, und sind immer zu End', ehe wir es versehen. Ich schäme mich zuweilen, wenn er fort ist, daß ich so wenig aufgeschrieben habe, aber wenn ich mich hinsetze, um es niederzuschreiben dann muß ich oft einen ganzen Tag schreiben und noch mehr. Ich thue es nun gar nicht mehr, denn ich behalte doch alles auswendig.«
»Ist's die Möglichkeit!«
»Manchmal ist's mir wie einem Vogel zu Muthe, als schwebte ich hoch in die Luft, unter mir sähe ich Berge und Städte und Flüsse. So weiß er das alles klar zu machen, wenn er erzählt. Da ist mir oft, als müßte ich das Umschlagetuch zusammenziehen, wenn er die kalten Länder beschreibt, wo ewiger Schnee liegt und Eis. Und wenn er die heißen schildert, da wird's mir so heiß, so heiß – ach, ich rede gewiß recht dummes Zeug, es ist nur gut, daß es Herr van Asten nicht hört.«
»Ach, liebe Seele, Engelchen, das versteh' ich. Wer das einmal gekostet hat, wie's draußen schön ist in der Welt, der möchte immerfort fliegen. Na nu versteht sich, fliegen kann keiner von uns, denn wir haben keine Flügel. Aber zwei Füchse vorgespannt vor den Wagen, oder noch besser viere, Extrapost, und nun, Schwager, ins Horn gestoßen und geknallt, über Berg und Thal, und Sonnenschein und überall geputzte und frohe Menschen. Das ist ein Leben, mein Engelchen. Berlin ist eine hübsche Stadt; aber, ach Gott, was giebt's noch für andere! Das zu sehen und sich erklären zu lassen! Und Herr van Asten müsste neben Ihnen im Wagen sitzen! Na, das wäre doch ein Leben wie alle Tage Sonntag. Ihnen gönne ich's. 'S kommt auch mal so. Was man sich wünscht, das kommt.«
Adelheid schwieg betroffen. Hatte sie sich denn das gewünscht? »Nein, liebe Frau Obristin, daran habe ich gar nicht gedacht. Neulich, da schämte ich mich fast, daß ich noch nicht in Potsdam gewesen, und daß Sie aus Leipzig kamen, aber jetzt – jetzt ist mir gar nicht, als wenn das nöthig wäre. Wenn Herr van Asten mir von den fremden Ländern erzählt, so brauche ich gar nicht zu reisen.«
»Ist das ein himmlisches Gemüth! – Und wie sie die Chokolade nippt, seht Euch mal das an. Wo sitzt auf ihren Lippen nur ein Tröpfchen, und wie Ihr immer schlürft. Die Schaale fasst sie doch an, als hätte sie's bei Hofe gelernt. – Nu müssen Sie auch mal in die Untertasse sehen, das ist ein Spiegel, da sieht Adelheidchen sich selbst.«
Adelheid ließ die Porzellantasse beinahe fallen. »Die Venus! das ist ja die Venus!« kreischten die Mädchen. Die Tante wollte über die Atrappe sich ausschütten vor Lachen, aber als sie Adelheids Verlegenheit bemerkte, nahm sie rasch die Untertasse in die Hand, und meinte, da müsste sie sich vergriffen haben, denn sie habe noch eine Tasse, wo die Venus ein Umschlagetuch hat.
Adelheid hatte wohl von der Venus gehört, aber in der Mythologie und Geschichte sollte der Unterricht später anfangen, weil Herr van Asten sie zuvor die Erde und ihre Bewohner, wie sie ist und sind, habe kennen lernen wollen, ehe er zu den Menschen überginge, die vormals gelebt, und was sie geglaubt und sich vorgestellt. Dagegen entwickelte die Frau Obristin in dieser Wissenschaft einige Kenntniß und schien sie mit Vergnügen auszukramen. Sie wusste namentlich viel von Najaden und Dryaden, von den Metamorphosen, und sogar von Ovid, der ein charmanter Dichter gewesen, daß Adelheid über ihre Gelehrsamkeit erstaunte. Sie hatte auch in ihrer Jugend bei Hofe den kleinen Schauspielen zugesehen, wie man die Götter und Göttinnen anzog, und den Engeln Flügel anband.
»Da könnte ich wohl manches von erzählen, was Herr van Asten nicht wissen wird, denn er war nicht dabei. Liebes Kind, Sie müssen nur denken, die Leute waren damals spaßiger als jetzt, das wird auch Herr van Asten wissen, und Böses war nichts bei. Denn die wurden blos so Heidengötter genannt, wir kannten uns ja Alle, als gute Christen, und alles Tricots, pfui, wenn Einer denken könnte, daß es was anders war. Der Herr Kammerherr könnte Ihnen davon erzählen – ich weiß auch gar nicht, wo er bleibt; er wollte noch mit einem vornehmen Herrn vom Hofe zur Chokolade bei mir ansprechen – nein, sag' ich Ihnen, der weiß die ganze
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