Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Halsbinde hing ungeknotet über die Weste, den Rock hatte er nicht nöthig gefunden, anzuziehen. Er blieb auf der Schwelle stehen, und reckte die Arme, um den Schlaf zu vertreiben.
Dies Bild sah Adelheid im Spiegel. Sie blieb athemlos stehen.
Jetzt sah er sie; nur ihre Gestalt in der Wirklichkeit, ihr Gesicht im Glase. Sein Auge belebte sich, es schoß auch im Spiegel einen Blitz, vor dem sie erschrak.
»Was habt Ihr denn da für eine neue Tugend!«
Rasch mit drei festen Schritten war er vorgetreten, und ehe Adelheid ausweichen konnte, hatte er sie umfasst und wollte sie zu sich umdrehen: »Tugend, ich will Dir ins Gesicht sehen!«
»Louis, Du wirst –! Um Gottes Willen, Louis! sie ist nicht von hier!« hatte Jülli geschrieen, und riß vergebens an seinem Arm. »Eure Larven kenn' ich.« Im selben Augenblick war die andere Thür aufgeflogen, die Obristin hereingestürzt. Ihre sonst so gutmüthigen Augen funkelten: »Der wieder da! O, das musste noch kommen! Für einen verlorenen Sohn ist Die zu gut! Reißt sie dem Trunkenbold aus den Armen!« Es wäre nicht unmöglich gewesen, daß sie mit ihren Fingern einen Griff nach dem Gesicht des jungen Mannes versucht, wenn nicht Adelheid sich jetzt rasch umgewandt, die herabgefallenen Locken aus dem Gesicht gestrichen hätte und gerufen: »Mein Herr! So sehe ich aus.«
Es war etwas Ueberwältigendes in dem Blicke der äußersten Entrüstung, was man nicht vergisst, im Tone der Stimme ein Metall, das Keiner bis da gehört; es tönte durch das Zimmer und in den nächsten Sekunden hörte man nichts anderes.
Er hatte sie unwillkürlich losgelassen. Sie standen nicht einen Schritt von einander, und ihre Blicke begegneten sich. Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Thränen wären eine Wohlthat geworden, es überstürzte sie nur eine krankhafte Hitze, der sogleich eine fieberhafte Kälte folgte. Sie wandte den Kopf ab, bedeckte das Gesicht, und, ein Schrei der gepressten Brust, stürzten die Worte heraus: »O, mein Gott, wo bin ich hingerathen! Was ist das mit mir!«
Sie wankte; aber sie schauderte vor der Obristin, die sie auffangen wollte, sie tappte mit aufgehobenen Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte, war's, seine Beute wieder zu ergreifen, war's, der Ohnmächtigen beizustehen. Aber die Erscheinung eines andern fremden Mannes der ein: »Halt, mein Herr!« ihm entgegen rief, veränderte die Scene.
Es war ein hochgewachsener Mann von leichtem, vornehmem Anstande. In seinem blassen, ausdrucksvollen Gesicht, in dem man einen Philosophen, Staatsmann, wenigstens einen Denker erkennen mögen, brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber durch die Entrüstung, den Stolz seiner Haltung, die Elasticität der Bewegung, um vieles jünger schien. Es war ohne Zweifel das bedeutendste, ausdruckvollste Gesicht im Zimmer, vielleicht, was man überhaupt in diesen Räumen gesehen, ein Mann, in dem jeder Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren schien, um zu imponiren. Den leichten Umwurfmantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er schon an der Thüre abgeworfen und stand im schwarzen Civilkostüm dem Andern gegenüber.
Auf dem Gesichte dieses Jüngern, dem die Leidenschaften viele Falten eingedrückt hatten, suchte man indeß umsonst nach einem Zuge, der eine Inklination verrieth, sich imponiren zu lassen. Mit einem verächtlichen Achselzucken: »Das geht Sie nichts an! Die Dame ist ohnmächtig!« wollte er an ihm vorüber. Ein: »Elender zurück!« donnerte ihm entgegen. »Ihr Arm darf die Unschuld nicht berühren.« Die Hand des Kavaliers hatte die Halsbinde des jungen Mannes gefasst, als dieser auch auf diese Worte nicht geachtet. Ein fürchterlicher Blick des Jüngeren, während seine Arme krampfhaft zitterten, sagte dem Kavalier, was er im nächsten Moment erwarten konnte, wenn er nicht zuvor kam. Louis war unzweifelhaft der Stärkere, aber er war in einer ungünstigen Stellung, des Angriffs nicht gewärtig, noch vom wüsten Traumschlaf ermattet. Der Kavalier war auf einen Angriff gefasst eingetreten, wahrscheinlich ein gewandter Fechter, der die Schwäche des Gegners zu nutzen weiß. Ihn kurz an sich ziehend, warf er ihn mit einem heftigen Stoß zurück: »Schlafen Sie Ihren Rausch aus!«
Louis fiel auf einen hinter ihm stehenden Stuhl; doch so heftig gegen die Lehne geschleudert, daß er
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