Ruhe unsanft
nach Dillmouth, als wir uns überlegten, wo wir in England leben könnten. Erst war ich einfach ne u gierig auf die Gegend, und dann fand ich sie so reizvoll, dass ich mich nach einem Haus für uns umsah. Und – ist das nicht ein schöner Zufall? Wir haben das Haus b e kommen, in dem mein Vater, Helen und ich schon ei n mal wohnten!«
»Ja, ich war manchmal dort zu Besuch«, sagte Walter Fane und lächelte auf seine angenehme Art. »Sie erinnern sich gewiss nicht an mich, Mrs Reed, aber ich habe Ihnen immer Bonbons zugesteckt.«
»Wirklich?« Gwenda lachte. »Dann sind Sie ja ein richt i ger alter Hausfreund. Leider kann ich nicht so tun, als hätte ich Sie gleich wiedererkannt, aber ich war ja auch höchstens drei Jahre alt. Waren Sie damals auf Urlaub zuhause?«
»Nein, ich hatte Indien für immer den Rücken gekehrt. Ich hatte mich als Teepflanzer versucht, aber es zeigte sich, dass ich mich nicht dafür eignete. Ich war eben doch dazu bestimmt, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und ein biederer Provinzjurist zu werden. Da ich die n ö tigen Examen schon vorher gemacht hatte, trat ich gleich in die Kanzlei ein.« Er hielt inne. »Und seitdem bin ich hier. Seit damals. Immer.«
Na, dachte Gwenda, so lang sind achtzehn oder neu n zehn Jahre auch wieder nicht.
Walter Fane beendete das Gespräch mit einem Händ e druck.
»Da wir so alte Bekannte sind, müssen Sie und Ihr Ga t te unbedingt auch meine Mutter kennen lernen. Ich we r de ihr von Ihnen erzählen. Inzwischen bleibt es bei Do n nerstagvormittag hier zur Unterschrift, nicht wahr?«
Gwenda verließ das Büro und wandte sich zur Treppe. In einer Ecke auf dem Absatz war ein Spinnennetz, in dem eine blasse, ziemlich nichts sagende Spinne saß. Nicht die dicke, lebendige Art, die sich auf gefangene Fliegen stürzte und sie aussog. Eher das Gespenst einer Spinne, dachte Gwenda. Und sie wusste selbst nicht, w a rum ihr Walter Fane einfiel.
Giles erwartete seine Frau draußen auf der Strandprom e nade. »Na?«, fragte er.
»Er war in der betreffenden Zeit in Dillmouth«, beric h tete Gwenda. »Von Indien zurück, für immer, sagte er. Er erinnerte sich, dass er bei uns im Haus verkehrt hat; er hat mir Bonbons geschenkt. Aber der ist kein Mörder – unvorstellbar! Viel zu still und gutmütig. Ein netter Mensch, wirklich, aber einer von denen, die man übe r sieht. Wenn sie auf einer Party sind und früher gehen als die andern, nimmt man gar keine Notiz davon. Dabei ist er bestimmt unheimlich anständig und zuverlässig, ein musterhafter Sohn und solide, aber – mit den Augen e i ner Frau gesehen – unglaublich langweilig! Ich verstehe schon, dass Helen sich damals anders besann. So einen heiratet man, wenn man auf Sicherheit Wert legt und keine andere Chance hat, aber bestimmt nicht aus reinem Gefühlsüberschwang.«
»Armer Teufel«, sagte Giles. »Und er war vermutlich verrückt nach ihr.«
»Ach, ich weiß nicht. Mir kommt’s eigentlich nicht so vor. Jedenfalls ist ein gehässiger Racheakt bei ihm unden k bar. Fane hat kein bisschen Veranlagung zum Mörder.«
»Du kennst dich wohl mit Mördern aus, was, Liebling?«, neckte sie Giles.
»Irgendwas würde einem doch auffallen…«
»In den letzten Jahren gab es eine ganze Menge Mor d prozesse, bei denen kein Mensch den Tätern etwas Böses zugetraut hätte. Stille, brave, bescheidene Mitbürger. Man sieht den Leuten den Mörder nicht an der Nasenspitze an.«
»Trotzdem kann ich nicht glauben, dass Fane…«
Gwenda stockte.
»Was ist los?«
»Ach, nichts.«
Aber sie hatte plötzlich daran denken müssen, wie Wa l ter Fane seine Brille geputzt und seine Augen so sonde r bar nackt und blicklos in die Luft gestarrt hatten, als sie »St. Catherine« erwähnte.
»Vielleicht«, sagte sie unsicher, »war er doch verrückt nach ihr…«
14
M rs Mountfords Wohnzimmer war sehr gemü t lich. Um einen runden Mitteltisch mit gestic k ter Decke waren mehrere altertümliche Plüschsessel gruppiert, an der Wand stand ein steif auss e hendes, aber überraschend gut gepolstertes Sofa. – Po r zellanhunde und andere Nippsachen thronten auf dem Kamin, und der Bildschmuck an den Wänden bestand aus prächtig kolorierten Bildern der königlichen Familie sowie einem Foto, das Mr Mountford mit hoher Kond i tormütze im Kreis mehrerer Kollegen zeigte. Ferner gab es ein Kunstwerk aus kleinen Muscheln und Wasserfarbe, das eine sehr blaue Grotte von Capri darstellte. Alle diese Dinge wollten nicht
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