Ruhe unsanft
man da vie l leicht was rausholen, Jim? Geld, meine ich.«
Mr Kimbles Antwort war ein unverbindliches Knurren.
»Es handelt sich wohl um ein Testament oder so«, übe r legte Lily. »Es ist alles so lange her.«
»Hm?«
»Achtzehn Jahre, mindestens. Ich frage mich – ich frage mich bloß, was sie da rauskriegen wollen, gerade jetzt. Kann es nach all den Jahren noch die Polizei sein, Jim?«
Jim bekundete sein Interesse mit zwei Silben: »Wieso?«
»Na, du weißt ja, was ich schon immer gesagt habe«, antwortete Lily geheimnisvoll. »Ich habe es mir gleich gedacht, als es mit dem Dienst da zu Ende war. Sie sollte angeblich mit einem Kerl abgehauen sein. Das sagen sie immer, die Männer, wenn sie ihre Frau abgemurkst h a ben. Verlass dich drauf, es war Mord! Habe ich dir gleich gesagt und Edith auch, aber die wollte es ja um keinen Preis wahrhaben. Keine Spur von Fantasie, die Edith. Dabei waren die Kleider, die sie mitgenommen haben sollte, der reine Blödsinn. Ich meine, es waren nicht die richtigen. Jawohl, ein Koffer und eine Reisetasche waren weg und genug Zeug, um sie vollzustopfen, aber es war das Falsche – keine Frau nimmt Abendkleider und so etwas mit, wenn sie verduften will. ›Ist doch glatter Schwindel‹, habe ich zu Edith gesagt, ›der Mann hat sie gekillt und im Keller verscharrt‹, habe ich gesagt. Natü r lich war es nicht im Keller, denn die Dingsda, die Leonie, das Schweizer Kindermädchen, die hat was gesehen. Aus dem Fenster. Wir hatten uns fürs Kino verabredet, Le o nie und ich, obwohl sie eigentlich nicht aus dem Kinde r zimmer weg durfte – aber das Kind hat ja immer wie ein Murmeltier geschlafen, es ist nie aufgewacht, darauf konnte man sich verlassen. ›Und Madam kommt abends nicht rauf‹, habe ich zu Leonie gesagt. ›Keiner merkt es, wenn Sie mit mir ins Kino gehen.‹ Na, da ist sie eben mitgegangen. Aber als wir wiederkamen – da war vie l leicht was gefällig! Der Doktor war da, und der Herr war krank und hatte was zum Schlafen gekriegt, und der Do k tor sah immer mal wieder nach ihm und fragte mich auch so nebenbei nach den Kleidern, und da hatte ich noch nicht gesehen, was fehlte, und habe mir gedacht, es ist schon so: Sie ist mit dem Kerl abgehauen. Auf den war sie ja scharf, und dabei war er doch auch verheiratet, und Edith hat immer gesagt, sie hofft und betet, dass wir nicht nen Scheidungsprozess an den Hals kriegen, wo wir aussagen müssen. Wie hieß der Mann bloß? Fing mit M an, glaube ich – oder war’s ein R? Himmel, mit der Zeit vergisst man alles.«
Mr Kimble hatte keinen Sinn mehr für unwichtige Di n ge. Er setzte sich an den Tisch und wartete mit nac h drücklichem Schweigen auf sein Essen.
»Die Pommes frites müssen nur noch abtropfen. Warte, ich hole lieber eine neue Zeitung. Diese hier hebe ich auf. Nach so langer Zeit steckt sicher nicht mehr die Polizei dahinter. Wenns Anwälte sind, wegen dem Nachlass oder so, ist vielleicht was drin. Von Belohnung steht ja nichts da, trotzdem… Ich wünschte, ich wüsste, wen ich fragen könnte, was ich machen soll. Die Adresse ist irgendwo in London. Aber ich glaube nicht, dass ich denen schreiben möchte. Jim, was meinst du dazu?«
»Hm«, machte Mr Kimble und sah hungrig auf den Fisch und die Pommes frites. Die Diskussion wurde ve r schoben.
13
G wenda betrachtete Mr Walter Fane über den wuchtigen Mahagonischreibtisch hinweg.
Was sie sah, war ein ziemlich müder Mann um die Fünfzig mit freundlich-leerem Gesicht, das man sich schwer merken konnte. Der Typ, dachte Gwenda, den man auf der Straße nur mühsam wieder erkennt, ke i ne sehr ausgeprägte Persönlichkeit. Er sprach langsam und war sehr höflich. Vermutlich ein tüchtiger Anwalt, übe r legte sie.
Sie ließ den Blick kurz durch das ganze Büro schweifen – das Büro des jetzigen Seniorchefs. Es passte zu Walter Fane, fand sie, so entschieden altmodisch, wie es war. Die Möbel waren abgenutzt, aber gediegen. An den Wänden stapelten sich Aktenkästen mit ehrfurchtgebietenden Namensschildern: Sir John Vavasour-Trench. Lady Je s sup. Arthur Foulkes, Esquire, verstorben. Die hohen Schiebefenster, reichlich schmutzig übrigens, gingen auf den Hinterhof hinaus, dessen graues Geviert von den angrenzenden Mauern ebenso alter Häuser gebildet wu r de. Es gab nichts Modernes oder gar Elegantes, aber auch nichts Ärmliches. Die Unordnung auf dem mit Papieren bedeckten Schreibtisch, die schief in den Regalen lehne n den juristischen Wälzer, die teils
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