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Ruhe unsanft

Ruhe unsanft

Titel: Ruhe unsanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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verstaubten Aktenstapel – alles das kennzeichnete das Büro eines erfahrenen A n walts, der genau wusste, wo er mit einem Griff fand, was er brauchte.
    Das leise Kratzen seiner Füllfeder hörte auf. Er sah Gwenda mit einem breiten, freundlichen Lächeln an.
    »So, das dürfte klar sein, Mrs Reed«, sagte er. »Ein sehr einfaches Testament. Wann darf ich Sie zur Unterschrift erwarten?«
    Gwenda sagte, sobald es ihm passe. Es sei ja nicht b e sonders eilig.
    »Wir wohnen noch nicht lange hier«, fügte sie hinzu. »In ›Hillside‹.«
    »Ja, Sie haben mir die Adresse schon genannt«, sagte Walter Fane mit einem Blick auf seine Notizen. Sein Ton hatte sich um keine Nuance geändert.
    »Es ist ein sehr schönes Haus. Wir fühlen uns schon ganz heimisch.«
    »Gratuliere«, sagte Walter Fane lächelnd. »Liegt es am Meer?«
    »Nicht ganz. Ich glaube, früher hat es anders geheißen. Ja, richtig: ›St. Catherine‹.«
    Walter Fane nahm seine Brille ab, um sie mit einem se i denen Taschentuch zu putzen.
    »Ach ja«, sagte er. »In der Leahampton Road!«
    Er sah kurz auf, und es frappierte sie wieder einmal, wie verändert Brillenträger ohne die gewohnten Gläser wir k ten. Walter Fanes Augen, von einem sehr blassen Grau, erschienen besonders kurzsichtig und blicklos. Sein ga n zes Gesicht, dachte Gwenda, macht auf einmal den Ei n druck, als wäre er nicht ganz da.
    Dann setzte er die Brille wieder auf und stellte noch e i ne seiner präzisen Fragen.
    »Wenn ich Sie recht verstanden habe, Mrs Reed, haben Sie doch schon anlässlich Ihrer Heirat eine Verfügung getroffen?«
    »Ja, aber damals hatte ich noch ein paar Verwandte in Neuseeland mit aufgeführt, die inzwischen gestorben sind. Darum dachte ich, es sei am einfachsten, gleich ein neues Testament zu machen, zumal wir die Absicht h a ben, nun auf die Dauer im Land zu bleiben.«
    »Ein sehr vernünftiger Standpunkt.« Walter Fane nickte. »Nun, Mrs Reed, damit wäre wohl alles klar. Vielleicht könnten Sie übermorgen wiederkommen? Passt es Ihnen um elf?«
    »Ja, das geht sehr gut.«
    Gwenda stand auf, Walter Fane ebenfalls. Kurz vor der Tür sagte sie mit einem Stottern, das sie sorgfältig eing e übt hatte:
    »Ich… ich bin extra zu Ihnen gekommen, weil Sie… ich meine, ich glaube, dass Sie… meine Mutter gekannt haben.«
    »Ach?« Er legte das notwendige höfliche Interesse in seine Stimme. »Wie war denn ihr Name?«
    »Halliday. Megan Halliday. Ich glaube – das heißt, ich habe gehört –, dass Sie einmal verlobt mit ihr waren?«
    Eine Wanduhr tickte plötzlich überlaut. Eins, zwei, eins, zwei, eins, zwei.
    Auch Gwenda fühlte ihr Herz lauter schlagen. Was für ein ruhiges Gesicht Walter Fane hatte! Wie ein Haus mit herabgelassenen Jalousien, ein Haus, in dem eine Leiche lag… Welch verrückter Gedanke, wies sie sich sofort zurecht.
    Walter Fane sagte mit unverändertem Gleichmut:
    »Nein, Mrs Reed, ich habe Ihre Mutter nicht gekannt. Ich war einmal verlobt, nur für eine sehr kurze Zeitspa n ne, mit der zweiten Frau Ihres Vaters, Miss Helen Ke n nedy.«
    »Ach so – das habe ich verwechselt, wie dumm von mir. Es war ja Helen, meine Stiefmutter! Ich war damals noch so klein, dass ich mich nicht richtig erinnern kann. Ich weiß nur, dass die zweite Ehe meines Vaters gesche i tert ist, und irgendwann habe ich mal gehört, dass Sie sich mit Mrs Halliday in Indien verlobt hätten. Natürlich dachte ich, mit Mrs Halliday sei meine verstorbene Mu t ter gemeint. Wegen Indien… Mein Vater hat sie nämlich in Indien kennen gelernt.«
    »Helen Kennedy kam nach Indien, um mich zu heir a ten. Aber dann überlegte sie es sich anders und fuhr z u rück. Auf dem Schiff begegnete sie Ihrem Vater.«
    Es war eine einfache leidenschaftslose Feststellung von Tatsachen. Gwenda erinnerte er immer noch an ein Haus mit herabgelassenen Jalousien.
    »Bitte, entschuldigen Sie«, sagte sie. »Habe ich Sie ve r letzt?«
    Walter Fane lächelte – sein breites, freundliches L ä cheln. Die Jalousien waren oben.
    »Das war vor neunzehn oder zwanzig Jahren, Mrs Reed«, sagte er. »Die Probleme und Verrücktheiten uns e rer Jugend bedeuten nach so langer Zeit nicht mehr viel. Soso, Sie sind also Hallidays kleine Tochter. Sie wissen doch, dass Ihr Vater und Helen einige Zeit hier in Dil l mouth gewohnt haben?«
    »O ja«, antwortete Gwenda, »das war der Hauptgrund, warum mein Mann und ich hergekommen sind. Obwohl ich nur ungenaue Kindheitserinnerungen hatte, wollte ich doch zuerst

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