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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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mit ganz besonderer Leidenschaft, wie mir jetzt einfiel. Er zog die Jacke aus und hängte sie sorgfältig über die Stuhllehne. Ich roch das neue Leder und dachte an Geschirrkammern und Sattelpolitur – ein Geruch, der mich an meine fernen Mädchenjahre erinnerte.
    »Ich habe den Bescheid über meine Versetzung erhalten«, sagte er. »Ich werde nach Indonesien gehen.«
    »Ich gehe nach Indonesien. Ist das gut? Freuen Sie sich?«
    »Ich gehe … Ich wollte Lateinamerika, sogar Afrika …« Er zuckte die Schultern.
    »Für mich klingt Indonesien ganz aufregend«, sagte ich und griff nach den Ambersons.
    Hamid arbeitete bei Dusendorf, einer internationalen Örgesellschaft. Die Hälfte aller Schüler bei Oxford English Plus kamen von Dusendorf und lernten Englisch, die Sprache der Erdölindustrie, damit sie an allen Ölquellen der Welt eingesetzt werden konnten. Ich unterrichtete Hamid nun schon seit drei Monaten. Er war als voll ausgebildeter Ingenieur für Petrochemie aus dem Iran gekommen, aber praktisch ohne Fremdsprachenkenntnisse. Doch acht Stunden täglicher Einzelunterricht, aufgeteilt auf vier Lehrer, hatten ihn, wie es die Broschüre von Oxford English Plus vollmundig versprach, in kürzester Zeit zum kompletten Zweisprachler gemacht.
    »Wann reisen Sie ab?«, fragte ich.
    »In einem Monat.«
    »Mein Gott!« Der Ausruf war echt und unbeabsichtigt. Hamid war so sehr zum Teil meines Alltags geworden, von Montag bis Freitag, dass ich mir nicht vorstellen konnte, plötzlich ohne ihn dazustehen. Und weil ich seine erste Lehrerin gewesen war, weil ich ihm die erste Englischstunde gegeben hatte, war ich immer in dem Glauben geblieben, dass er sein flüssiges Englisch allein mir zu verdanken habe.
    Ich stand auf und holte einen Kleiderbügel vom Türhaken, um seine Jacke aufzuhängen.
    »Auf dem Stuhl verliert sie die Form«, sagte ich, um den kleinen Gefühlsaufruhr zu kaschieren, den die Nachricht von seiner baldigen Versetzung in mir ausgelöst hatte.
    Als ich ihm die Jacke abnahm, schaute ich aus dem Fenster und sah unten auf dem kiesbestreuten Vorplatz neben Mr Scotts Dolomite einen Mann stehen. Einen schlanken jungen Mann mit Jeans und Jeansjacke, mit dunklem, schulterlangem Haar. Er sah mich hinabblicken und hob die Daumen – mit breitem Grinsen.
    »Wer ist das?«, fragte Hamid, der meine Überraschung und meinen Schock bemerkte.
    »Er heißt Ludger Kleist.«
    »Warum schauen Sie ihn so an?«
    »Weil ich dachte, er sei tot.«

Die Geschichte der Eva Delektorskaja
Schottland 1939
    Eva Delektorskaja lief über federndes Gras auf den Talgrund und den dunklen Baumstreifen zu, der einen kleinen Fluss säumte. Jenseits des Glens begann die Sonne zu sinken, also wusste sie wenigstens, wo Westen war. Sie schaute nach Osten, ob der Lkw von Staff Sergeant Law noch zu sehen war, der zwischen den gewundenen Berghängen zurückfuhr, ins Tal des Tweed, wie sie vermutete, doch in der dunstigen Abendluft ließen sich Felswände und Nadelwälder nicht mehr auseinanderhalten, so dass es unmöglich wurde, den Zweitonner aus dieser Entfernung zu erkennen.
    Sie marschierte drauflos, auf den Fluss zu, bei jedem Schritt stieß ihr der Rucksack ins Kreuz. Das ist eine »Übung«, sagte sie sich, sie muss mit dem richtigen Elan ausgeführt werden. Die Ausbilder hatten ihnen erklärt, das sei kein Wettkampf, eher ein Test, ob sie damit zurechtkamen, im Freien zu übernachten, ob sie Orientierungssinn zeigten und welche Initiativen sie in der Zeit entwickelten, die sie brauchten, um zurückzufinden, ohne zu wissen, wo sie sich befanden. Zu diesem Zweck hatte Law ihr die Augen verbunden und sie mindestens zwei Stunden lang umhergefahren, wie sie aus dem Stand der rötlichen Sonne schloss. Während der Fahrt war Law auffallend gesprächig gewesen – um sie am Zählen zu hindern, wie sie jetzt begriff-, und als er sie oberhalb des Glens absetzte, sagte er: »Es können zwei Meilen oder zwanzig Meilen Entfernung sein.« Er zeigte sein dünnes Lächeln. »Sie werden es nicht erraten. Also bis morgen, Miss Dalton.«
    Das Flüsschen im Talgrund war seicht, das braune Wasser floss schnell dahin. Beide Ufer waren dicht bewachsen, hauptsächlich von kleinen, dicht belaubten Bäumen mit blassgrauen, knorrigen Stämmen. Eva lief mit festem Schritt flussabwärts, die safranfarbene Sonne betupfte das Gras und Gesträuch mit goldenen Flecken. Über den Pfützen standen Mückenwolken, und während der schottische Tag zur Neige ging, wurde der Gesang

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