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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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der Vögel immer munterer.
    Als die Sonne hinter dem Westrand des Glens verschwunden war und das Licht im Tal grau und gestaltlos wurde, beschloss Eva, ihr Nachtlager aufzuschlagen. Sie hatte bestimmt mehrere Meilen zurückgelegt, aber noch immer kein Haus oder irgendeine menschliche Bleibe entdeckt, keine Scheune oder Hütte, in der sie Unterschlupf gefunden hätte. Ihr Rucksack enthielt einen Regenmantel, ein Umhängetuch, eine Wasserflasche, eine Kerze, eine Schachtel Streichhölzer, ein kleines Päckchen Toilettenpapier und ein paar Käsesandwiches, eingewickelt in Butterbrotpapier.
    Sie suchte sich eine bemooste Mulde zwischen den Wurzeln eines Baumes, zog den Regenmantel über und kroch in ihr provisorisches Bett. Ein Sandwich aß sie, die anderen hob sie auf. Bis jetzt machte ihr dieses Abenteuer ziemlichen Spaß, sie freute sich beinahe auf ihre Nacht unter freiem Himmel. Das Rauschen des Flusses, der flink über die runden Kiesel und Steine strömte, war beruhigend; sie fühlte sich nicht ganz so allein. Und sie spürte auch nicht das Bedürfnis, mit der Kerze gegen die Dunkelheit anzugehen – eigentlich war sie recht froh, dass sie einmal von ihren Kollegen und Ausbildern in Lyne Manor wegkam.
    Nach der Ankunft in Edinburgh war Staff Sergeant Law mit ihr südwärts gefahren und dann am Tweed entlang, durch mehrere kleine und in ihren Augen fast identische Fabrikstädte. Nach der Überquerung des Flusses stießen sie in eine einsamere Landschaft vor; hier und da sah man flache, massive Farmhäuser mit ihren Stallungen und blökenden Schafherden; die Hügel ringsum, von Schafen bevölkert, wurden höher, die Wälder dichter und urwüchsiger. Dann, zu ihrer Überraschung, fuhren sie durch das schmiedeeiserne Tor eines Landguts mit hübschen Portalhäuschen zu beiden Seiten und weiter auf einem gewundenen Fahrweg, der von alten Buchen flankiert war und zu zwei großen weißen Gutshäusern führte, die von gepflegtem Rasen umgeben und so gelegen waren, dass sie eine westwärts gelegene Schlucht überblickten.
    »Wo sind wir?«, fragte sie Law, stieg aus dem Auto und betrachtete die kahlen, runden Bergrücken zu beiden Seiten.
    »Lyne Manor«, sagte er, ohne weitere Erklärungen abzugeben.
    Die zwei Häuser waren, wie sie jetzt sah, Teile eines einzigen. Was wie ein zweites ausgesehen hatte, war tatsächlich der Seitenflügel, ebenfalls stuckverziert und weiß getüncht, aber offensichtlich jüngeren Datums als das ein Stockwerk höhere Haupthaus mit seinen dicken Festungsmauern und kleinen, unregelmäßigen Fenstern unter einem dunklen Schieferdach. Sie hörte das Rauschen eines Flusses und sah hinter Bäumen, die etwas weiter entfernt standen, die Lichter eines weiteren Gebäudes. Nicht ganz aus der Welt, dachte sie, aber fast.
    Nun, da sie im Wurzelbett ihres Baumes lag, schläfrig vom beständig wechselnden Rauschen des Flusses, dachte sie an die zwei seltsamen Monate in Lyne Manor, an die Dinge, die sie dort gelernt hatte. Sie betrachtete das Ausbildungslager als eine Art exzentrische Internatsschule, und es war eine sonderbare Ausbildung, die sie dort erhielt: Zuerst morsen, morsen ohne Ende, bis zur fortgeschrittensten Stufe, auch Stenographie und das Schießen mit diversen Handfeuerwaffen. Sie hatte Autofahren gelernt; sie konnte Karten lesen und den Kompass gebrauchen. Sie wusste, wie man Kaninchen und andere Nager fing, häutete und zubereitete, wie man Spuren verwischte und falsche Fährten legte. In weiteren Kursen hatte man ihr beigebracht, einfache Codes zu entwickeln und zu knacken. Sie hatte gelernt, wie man Dokumente fälschte, konnte Namen und Daten mit verschiedenen Spezialtinten und winzigen Schabwerkzeugen verändern und wusste, wie man mit einem zugeschnittenen Radiergummi amtliche Stempel nachmachte. Sie wurde mit der menschlichen Anatomie vertraut gemacht, lernte, wie der Körper funktionierte, worin sein Nahrungsbedarf und seine vielen Schwachstellen bestanden. In den ahnungslosen Fabrikstädtchen war sie zu belebter Stunde darauf trainiert worden, Verdächtige zu beschatten, allein, zu zweit oder zu mehreren. Sie wurde auch selbst verfolgt und allmählich vertraut gemacht mit den Anzeichen einer Beschattung sowie allen möglichen Methoden, ihr zu entgehen. Sie lernte, wie man unsichtbare Tinte herstellte und wie man sie sichtbar machte. All das war interessant, gelegentlich faszinierend, aber das »Scouting«, wie man diese Fähigkeiten in Lyne nannte, war nichts, was man auf die

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