Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
dachte ich. Sondern auch
ein Apartment. Es war ein heißer Nachmittag, ich war müde und genervt. Ich wollte schlafen oder mich zumindest hinlegen, aber ich wußte nicht wo. Ich lief einige Blocks weiter, schlenderte im Schatten der großen Bäume, dachte an all die Dinge, die ich jetzt vielleicht in London oder New York machen würde, fluchte auf den seltsamen Impuls, der mich auf diesen öden dampfenden Felsen gebracht hatte, und schließlich machte ich halt vor einer Bar von Einheimischen und holte mir ein Bier. Ich zahlte die Flasche und trank sie, während ich weiter die Straße entlangging. Und ich fragte mich, wo ich schlafen könnte. Das Apartment von Sala kam nicht in Frage. Es war heiß und laut und deprimierend wie ein Grab. Vielleicht, dachte ich, sollte ich zu Yeamon, aber das war zu weit draußen, und es gab keine Möglichkeit, dorthin zu kommen. Als ich mich schließlich der Tatsache stellte, daß ich keine andere Wahl hatte, als weiter durch die Straßen zu laufen, beschloß ich, mich nach einem eigenen Apartment umzuschauen. Nach einem Ort nur für mich allein, mit eigenem Kühlschrank, wo ich meine eigenen Drinks mixen und vielleicht sogar ab und zu ein Mädchen mit nach Hause nehmen könnte. Die Aussicht auf ein eigenes Bett im eigenen Apartment munterte mich so sehr auf, daß ich nur noch diesen Tag überstehen wollte, um morgen gleich anzufangen.
Mir wurde bewußt, daß ich mit einem Apartment und vielleicht auch einem Wagen mehr Verpflichtungen eingehen würde, als ich gerade haben wollte – vor allem, weil ich jederzeit im Gefängnis landen konnte. Oder die Zeitung könnte dicht machen. Oder ich könnte wegen eines neuen Jobs einen Brief von einem alten Freund aus Buenos Aires bekommen. Immerhin war ich gestern kurz davor gewesen, einfach nach Mexiko City zu fliegen.
Jedenfalls wußte ich, daß ich jetzt dabei war, an einen
Punkt zu kommen, an dem ich mir über Puerto Rico klar werden mußte. Schon seit drei Monaten war ich hier, doch es kam mir vor wie drei Wochen. Bisher gab es nichts Greifbares, keinen jener Gründe, die für oder gegen einen Ort sprachen. Die ganze Zeit, die ich jetzt in San Juan war, hatte ich die Stadt verurteilt, ohne daß sie mir eigentlich mißfallen hätte. Ich spürte, daß ich irgendwann jene dritte Dimension erkennen würde, jene Tiefe, die eine Stadt zu einem wirklichen Ort macht und die man erst entdeckt, wenn man längere Zeit dort gewesen ist. Je länger ich aber blieb, um so stärker kam der Verdacht auf, daß ich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Ort war, wo es diese lebenswichtige Dimension nicht gab – oder nur so verhüllt, daß es keinen Unterschied machte. Vielleicht war dies, Gott bewahre, tatsächlich der Ort, der er zu sein schien – eine Mischung aus Okies und Dieben und verwirrten Jíbaros .
Ich lief noch über eine Meile, dachte nach, rauchte, schwitzte, spähte über hohe Hecken und in niedrige Fenster direkt an der Straße, hörte dem beständigen Dröhnen der Busse und dem Bellen der streunenden Hunde zu, sah fast keinen Menschen außer jenen, die in überfüllten Autos an mir vorbeifuhren, unterwegs nach weiß Gott wohin. Ganze Familien waren in einen einzigen Wagen gepreßt, fuhren einfach nur so durch die Stadt, hupten, kreischten, hielten an, um pastillos zu kaufen und einen Schuß Coco frío , dann wieder zurück in den Wagen und weiter. Immer mit dem suchenden, staunenden, begeisterten Blick für all die tollen Dinge, die die Yanquis mit der Stadt anstellten: hier wurde ein Bürohaus mit zehn Stockwerken hochgezogen; dort war ein neuer Highway, der ins Nirgendwo führte. Und selbstverständlich gab es überall die neuen Hotels, die man anschauen konnte, oder
die Yanqui -Frauen am Strand. Und abends, wenn man früh genug dran war, um einen guten Platz zu bekommen, gab es Televisión auf den öffentlichen Plätzen.
Ich lief weiter und wurde mit jedem Schritt trübsinniger. Schließlich, in meiner Verzweiflung, stieg ich in ein Taxi und fuhr ins Caribé Hilton, wo gerade ein internationales Tennisturnier veranstaltet wurde. Mit meinem Presseausweis kam ich hinein und saß den restlichen Nachmittag auf der Tribüne.
Die Sonne machte mir hier nichts aus. Sie gehörte zu den Sandplätzen und dem Gin und dem hin- und herflitzenden weißen Tennisball einfach dazu. Ich erinnerte mich an andere Tennisplätze und an längst vergangene Tage voller Sonne und Gin und Leuten, die ich nie wieder sehen würde, weil wir uns nicht mehr
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