Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
beleidigen. Wahrscheinlich, dachte ich, ist er nur verbittert, weil meine Kaution so viel geringer als seine war. Zum Teufel mit ihm, dachte ich, Sanderson hatte damit nichts zu tun.
Ein paar Blocks weiter ging ich in ein Restaurant mit Terrasse, um puertoricanischen Kaffee zu trinken. Für siebzig Cents kaufte ich mir eine NEW YORK TIMES. Sie gab mir gleich ein besseres Gefühl, weil sie mich daran erinnerte, daß man gleich hinter dem Horizont in einer großen vertrauten Welt den gewohnten Dingen nachging. Ich trank noch einen Kaffee, und bevor ich mich auf den Weg machte, nahm ich die TIMES mit und schleppte sie die Straße entlang wie ein kostbares Bündel Weisheit; eine schwergewichtige Versicherung, daß ich vom realen Teil der Welt noch nicht ganz abgeschnitten war.
Ich brauchte eine halbe Stunde zu Sanderson, aber das machte nichts, weil ich am Strand entlang lief und den Weg mochte. Als ich ankam, lag er ausgestreckt in seinem Garten auf einer Plastik-Strandmatte. Wie er so halbnackt da lag, sah er dünner aus als in seinem Anzug.
»Hallo, Schläger«, sagte er. »Wie war’s im Knast?«
»Schrecklich«, sagte ich.
»Weißt du«, erwiderte er, »beim nächsten Mal wird’s noch schlimmer. Dann bist du ein gezeichneter Mann.«
Ich starrte ihn an und fragte mich, was für einen schrägen Humor er an mir testete.
Sanderson stützte sich auf seine Ellbogen und zündete sich eine Zigarette an.
»Wie hat es angefangen?« fragte er.
Ich erzählte ihm die Geschichte, ließ hier und da ein paar Kleinigkeiten aus und stritt das Wenige, das ich von der offiziellen Version wußte, kategorisch ab.
Dann lehnte ich mich zurück in meinem Stuhl, sah hinaus auf den weißen Strand und auf das Meer und die Palmen um uns herum und dachte, wie seltsam es war, an einem Ort wie diesem Angst vor dem Gefängnis zu haben. Eigentlich schien es unmöglich zu sein, in die Karibik zu fahren und wegen eines dummen kleinen Vergehens ins Gefängnis gesteckt zu werden. Puertoricanische Gefängnisse waren für Puertoricaner – und nicht für Amerikaner, die Krawatten mit Paisley-Muster trugen und Hemden mit Button-Down-Kragen.
»Warum war deine Kaution so viel niedriger«, fragte er. »Haben die anderen beiden mit dem Ärger angefangen?«
Da war es wieder. Ich wünschte mir, daß sie mich wegen einer wirklich brutalen Sache angeklagt hätten, so etwas wie »brutaler Überfall« oder »schwere Körperverletzung«.
»Verdammt, ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Sei froh«, sagte er. »Für Widerstand gegen die Staatsgewalt kannst du ein Jahr in den Knast wandern.«
»Nun gut«, sagte ich und versuchte, das Thema zu wechseln. »Deine Rede war jedenfalls die Rettung – sehr beeindruckt waren sie ja nicht, als wir sagten, wir würden für die NEWS arbeiten.«
Er zündete sich wieder eine Zigarette an. »Wen beeindruckt das schon.« Er schaute auf. »Aber glaub ja nicht,
daß ich für dich gelogen habe. Die TIMES sucht hier wirklich einen Reisereporter, und ich wurde gefragt, ob ich jemanden wüßte. Ab morgen bist du das.«
Ich zuckte die Achseln. »Schön.«
Ich ging nach drinnen und holte noch einen Drink. Als ich in der Küche stand, hörte ich einen Wagen heranfahren. Es war Segarra, der wie ein Gigolo von der italienischen Riviera gekleidet war. Er nickte steif, als er zur Tür hereinkam.
»Guten Tag, Paul. Was ist eigentlich passiert letzte Nacht?«
»Ich kann mich nicht mehr erinnern«, sagte ich und schüttete den Inhalt meines Glases in den Ausguß. »Laß es dir von Hal erzählen. Ich muß los.«
Er sah mich verächtlich an und lief dann durch das Haus in den Garten. Ich ging zur Tür, um mich von Sanderson zu verabschieden.
»Schau morgen mal im Büro vorbei«, sagte er. »Dann reden wir über deinen neuen Job.«
Segarra sah verdutzt aus.
Sanderson lächelte ihn an. »Ich klau mir schon wieder einen von deinen Jungs«, sagte er.
Segarra runzelte die Stirn und setzte sich. »Großartig. Nimm sie doch gleich alle.«
Ich zog ab, ging hinüber zur Calle Modesto und fragte mich, wie ich den restlichen Tag totschlagen sollte. Das war immer ein Problem in Puerto Rico gewesen. Sonntag war mein freier Tag, und der Samstag normalerweise auch. Nun hatte ich langsam keine Lust mehr auf die Touren mit Sala oder auf das Herumhängen bei Al, und sonst gab es nichts zu tun. Ich wollte endlich auf der Insel herumkommen, mir ein paar andere Städte ansehen, aber dazu brauchte ich einen Wagen.
Und nicht nur einen Wagen,
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