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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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brachte immer große Blöcke Flomen (Bauchwandspeck von Schweinen) mit, aus denen meine Mutter Schmalz sieden musste, aber auch riesige Rinderlebern, ob gestohlen oder Teil seines Lohns, weiß ich nicht. Von der Leber aßen wir tagelang. Meine Mutter briet sie steinhart, dazu gab es Kartoffelbrei, Zwiebeln und gebratene Äpfel. Manchmal schnitt mein Vater sich und mir vorher kleine Stückchen von der rohen Leber ab und meinte, ich solle es ihm gleichtun und das Stück kauen, Eskimos machten das auch, sei gesund. Ich hatte weder Bedenken noch Ekel, schmeckte interessant und erinnerte in seiner Beschaffenheit an Kaugummi. Am Ende hatte man das Blut aus dem Brocken gekaut, übrig blieb ein weißes fasriges Stück Fleisch, das man ausspucken durfte, macht man ja mit Kaugummis auch.
    Einmal unternahmen wir mit unserem kleinen weißen Lada 1200 einen Familienausflug zum Steinhuder Meer, im Winter, wir gingen übers Eis zum Schloss Wilhelmstein, dort war dann gar nichts. Mein Vater schimpfte wie üblich, und wir mussten wieder zurück, aber später auf dem Eis sah ich, dass er gar nicht mehr so unfroh aussah und etwas bei sich trug, eingewickelt in seinem Taschentuch. Ich fragte, was das sei, und er meinte nur: nichts. Schwieg und schleppte das Ding, weit vor uns fünf Kindern und der Frau, die die Leber zu hart briet, marschierend, ans Ufer, zum Lada. Als wir ankamen, saß er vergnügt im Wagen und rauchte, dann zeigte er uns seine Beute: Eine bestimmt 10 Kilo schwere Kanonenkugel, ich konnte sie nicht heben, zu schwach, er lachte mich aus. Die Kugel folgte uns mit jedem Umzug: Als ich dann aber von zu Hause auszog, stahl ich sie ihm, ohne genau zu wissen, was ich mit ihr sollte, sie war ja nicht mal schön oder beredt, halt ein großer schwerer Klumpen verrosteten Eisens. Wie alt war sie? Wurde sie je abgeschossen? Welches Erz wurde für sie wo ausgewrungen? Ich glaube, ich war nur fasziniert von dem schieren Gewicht der zur Wirkungslosigkeit verdammten Geschichte.
    Ich wohnte in diesem alten Wasserturm in Lüneburg mit einem Leichtfuß namens Jens. Wir klauten wie die Raben, meistens Alkohol aus Gaststättenlagern, tranken diesen an langen Abenden, während wir uns gegenseitig tätowierten, ABBA hörten und Siebzehnundvier um Geld spielten. Man kann, wenn man geschickt ist und der Gegner unerfahren, bei dem Spiel leicht gewinnen. Ich erinnere mich an einen Typen, der bei uns häufiger Gast war, Ralf, genannt Ralle, den nahmen wir regelmäßig aus. Er war ein bisschen langsam in allem, und in seiner Not ließ er, wenn er sich übernommen hatte, Karten verschwinden. Einmal sah ich ihn eine Karte unter seinen Oberschenkel schieben; auf die Frage, was das werden solle, antwortete er hilflos: «Wenn da eine Karte unter meinem Bein liegt, ist das nicht meine.» Das brach uns das Herz, und wir beendeten das Spiel aus Mitleid, aber nur für diesen Abend, denn wir mussten ja qua Ralle unser Einkommen sichern. Weil ich ja nirgends angestellt war, konnte ich jederzeit wegfahren, was ich auch tat, auch mal mit dem Fahrrad, natürlich auch gestohlen, das ich am Zielort üblicherweise verkaufte, den mühsamen Rückweg wollte ich mir nicht auch noch antun, zurück fuhr ich Zug. Eines Abends spielten wir wieder fröhlich, ich versuchte meine Reisekasse noch aufzufüllen, Sachen waren bereits gepackt, Satteltaschen befüllt, Rad stand unten im Hof, weiß nicht mehr, ob ich noch was verdiente an dem Abend. Ich stand sehr früh auf, um sechs oder so, denn ich wollte an dem Tag viel schaffen, ich wollte nach Bamberg, ohne Grund, mir gefiel einfach der Name, natürlich hysterisch auf der ersten Silbe kreischend ausgesprochen, und mit gedehntem M, wie Dieter Hallervorden in dem Sketch «Mich schickt der Herr Bamberger», ein Kammerspiel, über dem ich in meiner Jugend regelmäßig barst vor Lachen. Morgens schob ich das Rad vom Hof und fuhr los. Ich trat wie eine Maschine in die Pedalen. Irgendwann zu Mittag machte ich Pause, lehnte das Rad an einen Baum und wunderte mich, warum das Hinterrad so schwer war und zudem einen Linksdrall hatte, ich nahm doch kaum Gepäck mit. Ich schaute in die Satteltasche, da lag die Kanonenkugel, die hatte mir der niederträchtige Mitbewohner eingepackt. Er fand das wohl «witzig»: Ich überlegte. Die konnte ich doch nicht einfach wegschmeißen, zurück wollte ich auch nicht, ich war etwa bei Soltau, schaute auf meine Karte, und da sah ich das am Rande der Heide schimmernde blaue Auge des Steinhuder Meeres.

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