Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
festgeklopft werden. Unten am Wasser ist er aber hart und geriffelt wie ein Gaumen. Sie fragt, ob sie für mich pissen könne. Ich verstehe nicht, was sie meint, ob ich ihr beim Pissen zusehen soll, oder was, sage aber: ja, und ohne, dass mir komisch vorkäme, was nun passiert, lasse ich sie machen. Sie stellt sich hinter mich, ganz dicht, dass durch den Druck ihre Wärme und meine zu einer einzigen Wärme werden, und öffnet meine Hose, holt meinen Penis heraus, ihre Hände sind kalt, aber das ist gut, wie eine bei Fieber willkommene Kälte, und ich pisse in den großen, schwarzen, zähen Ärmelkanal. In meinem Kopf singt ganz entfernt Laurie weiter: «And I said: O.K. Who is this really? And the voice said: This is the hand, the hand that takes. This is the hand, the hand that takes. This is the hand, the hand that takes.» Meine eigenen Hände habe ich währenddessen nach hinten in ihre vorderen, engen Hosentaschen gesteckt, eng, aber warm wie ein Handschuh, und interessanterweise innen, zu ihren Schenkeln hin, ebenso gerillt wie der feuchte Ebbesand, auf dem wir gerade stehen, der seinerseits einen riesigen Gaumen imitiert. Nach dem Service schüttelt sie meinen Hosenbruder und verstaut ihn fachgerecht, zieht den Reißverschluss zu, dreht mich zu sich und gibt mir einen Kuss. Ihre Augen sind geöffnet, ein fragender Blick, den ja nun eigentlich ich haben müsste, mein Blick aber kann nur mit einer Gegenfrage antworten. Ich habe noch niemals so einen traurigen, fragenden Blick gesehen, so gewaltig, als würde mich der ganze Kosmos ansehen. Sie löst ihre Lippen von meinen, dann stößt sie sich ganz von mir ab, so als würden unsere unvereinbaren Blicke nicht schon reichen. Sie sagt «Vaarwel» und geht, und ich bleibe stehen, kann mich nicht bewegen und mir ist so, als würde alles in mir zu einem enorm festen Kiesel zusammengepresst. Ich habe nichts mehr, auch keine Wünsche, ich bin nichts mehr als ein lebender Stein, ich bin weder erschreckt noch erleichtert, nicht glücklich, nicht traurig, auf eine komische Art frei, ohne zu wissen, wovon, und das Foto ihrer Mutter habe ich auch nicht mehr, das habe ich ihr eben in die Hosentasche gesteckt. Ich brauche Jod.
Fußnoten
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Polizisten
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Über Tex Rubinowitz
Tex Rubinowitz, geboren 1961 in Hannover, lebt seit 1984 als Witzezeichner, Maler, Musiker und Schriftsteller in Wien. Er reist unter dem Motto: Hoch zu Ross erscheint die Erde wie ein Kügelchen.
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Über dieses Buch
Paralleltourismus
Tex Rubinowitz' Reiseberichte sind phantastisch, komisch und ganz ohne Vorbild. Und die Reisen gehen, konsequent an allen «Sehenswürdigkeiten» vorbei, an Orte, die mal wirklich interessant sind. In Bhutan besucht er eine königliche Hochzeit, mit einer Verkehrsampel im Gepäck, denn die gibt es in dem Land auf dem Dach der Welt bisher noch nicht. In Porto geht er auf eine Ingo-Schulze-Lesung, die in der Erkenntnis gipfelt, dass Porto nicht gerade der günstigste Ort für eine Ingo-Schulze-Lesung ist. Ob in Baku, Budapest, Beppu oder Berlin, auf dem Schlager-Grand-Prix, dem Bachmann-Wettbewerb oder dem nördlichsten Filmfestival der Welt in Sodankylä: Überall kommt Rubinowitz mit den Leuten ins Gespräch; immer führen die Gespräche in Sphären, die selten ein Mensch betrat.
«Ich rede gerne mit Menschen, ja, das muss man so sagen, statt sie anzustarren, zu ignorieren, mit ihnen zu schlafen oder sie zu hassen, das kann man alles danach immer noch, aber zunächst einmal reden. Meine Mutter hat mir erzählt, ich hätte als Kind sogar mit Holz geredet und mit Hunden, aber mit dem falschen Ende, der wedelnde Schwanz war mir wohl kommunikativer. Bereits damals ließ ich mich offenbar von Paul Watzlawicks Axiom, dass man nicht nicht kommunizieren könne, durchs Leben lenken. Reden ist für mich wie Atmen, die beiden Tätigkeiten sind sich ja im Grunde nicht unähnlich und wichtiger als Essen, Essen ist verzichtbar, Reden nicht. Ohne Kommunikation wären wir ausgestorben, ohne Essen nicht, wir hätten gelernt, uns osmotisch zu ernähren, das ist wohl auch der Grund, warum ich nach wie vor mit Bäumen rede, vielleicht, um ihnen die Technik der Photosynthese zu entlocken. Ich habe einmal in Japan einen ganzen Nachmittag mit einem trisomischen Kind geredet, es ging, wir erfanden eine neue Sprache.»
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Impressum
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni
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