Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
alkoholfreien Irrtümer wurden erst Jahre später gemacht.
Porto, eine verrottete, kariöse Stadt, in der die Möwen das urbane Gefüge prägen, und die Tauben den weit entfernten Strand. Die Möwen haben sie verdrängt, rausgeschmissen, eine Stadt, die offenbar nur noch von Katzenpisse zusammengehalten wird, jedes zweite Haus eine Ruine, in denen kranke Katzen nisten und nasses Brot fressen, sie haben nichts zu tun, außer zu resignieren. Wenn also nicht Schimmel und Katzen wären, würde das hier bald alles zusammenbrechen wie ein Kartenhaus, diese Stadt korrodiert, genau wie ich, passt ja. Es ist auch immer besser, in der Fremde krank zu sein, ein Unsichtbarer, in vertrauter Umgebung muss man sich dauernd rechtfertigen und falsches Mitgefühl erdulden, «Was, schon wieder krank?», «Ich dachte, du wirst nie krank?». Krankheit ist peinlich, so ist das nun mal, jeder siecht für sich allein.
Einmal am Morgen macht mich meine Qual in meinem schweißnassen Faulbett dann doch lachen, so schlimm kann es wohl dann doch nicht sein: Ich wache auf, ich muss niesen und gleichzeitig husten, und als ich den Mund aufmache, will sich auch noch ein Gähnen dazwischendrängen, sei es aus parasitären Gründen oder solchen der Effizienz.
Immer rufen mich meine portugiesischen Freunde an oder schicken Durchhalteparolen auf mein kleines Nokiatelefon. Paulo, ein Maracujabauer und ehemaliger Mosambiksöldner, fragt, ob’s mir gutginge, ob ich nicht mal vorbeikommen möge, ob ich etwas brauche, aber ich krächze kaum glaubhaft, ich sei auf dem Weg der Besserung. In Wirklichkeit verschlimmert sich mein Zustand, die Nässe kriecht mir in die Knochen, ins Gebälk, draußen regnet es sauer seit Tagen, ich fühle mich wie ein von seinem Schutzbefohlenen verlassenes Kind. Die verfluchte Kälte versucht zum Reaktorkern vorzudringen, ich liege da wie eine Sporttasche voller nasser Handtücher in einem Tunnel, dessen Ausgang zugemauert ist, ich bin so schwach, dass mir nur noch verblödete Metaphern einfallen.
Meine Hauptsorge gilt den Knien, die Knie sind immer so kalt, man muss die Knie wärmen, bei mir geht sehr viel über diese Organe, sie sind empfindlich wie Fühler. Als Walter Kempowski in seiner achtjährigen Zuchthauszeit einmal bestraft wurde, indem man ihn nackt in eine kahle Betonzelle setzte und mit kaltem Wasser übergoss, gab ein mitfühlender Aufseher (Russe) dem Schlotternden den Rat, seine Knie anzuhauchen, weil er wohl auch von der Leichtleitfähigkeit dieser Knorpelsensoren wusste. Deshalb bestelle ich mir hier, in der klammen Stadt, immer zwei Kaffees gleichzeitig und stelle sie mir auf die Knie. Manchmal schleppe ich mich auch fiebrig aus der muffigen Stube runter ins Restaurant Portista Marisqueira, gegenüber der phantastischen Parkhaustorte im brutalistischen Stil (dem Silo Auto), die aussieht wie das Guggenheimmuseum in New York. Das Wirtshaus ist so schön, dass man das Innere streicheln möchte, draußen leuchtet die Galp-Tankstelle orange, überhaupt geht nachts ein orangenes Glosen von dieser Stadt aus, man sieht es gut, wenn man sie von oben betrachtet, beispielsweise aus der umwerfenden Bar im siebzehnten Stock des Hotels Dom Henrique, direkt neben dem Autosilo. Da sieht man dann und wann geordnet ungeordnet Wolken orangener Pünktchen aufstieben, als seien es Funken, es sind aber nur von unten orange angestrahlte Taubenschwärme bei ihrer letzten Vergnügungstour des Abends, denn nachts tauschen sie ihr Revier wieder mit den Möwen, die sich zur Bettruhe an den Strand verziehen.
Das Glosen kommt natürlich vom fauligen Atem der Häuser, nachts, so kennt man’s, wenn man’s kennt, aus dem Hochmoor bei Worpswede, grün glimmende Irrwische, Faulgase sind das, hier ist das, was die Stadt aushaucht, eben orange.
Ich würge in der Portista Marisqueria ein frugales Mahl herunter, zwei Bolos de Bacalhau , frittierte Kugeln aus Stockfischabfällen und Kartoffelbrei, spüle mit Portwein nach, mir schmeckt das. Dabei beobachte ich Berto, den geistig behinderten Parkplatzeinweiser vorm großen Fenster, eine echte Hilfe ist er nicht, die Leute geben ihm Geld, damit er nichts tut, ab und zu kommt er rein und trinkt ein großes Glas warme Milch. Die Gegend hier ist absolut phantastisch, der schönste Teil Portos, fraglos, nebenan die Confeitaria Cunha, die so aussieht und in der man sich so behaglich fühlt wie in einer Bar im Weltraum. Ich würde diese Gegend ein retrofuturistisches Kleintokio nennen. Es gibt diese
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