Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
Terra-Film-Gesellschaft auch einige Zeitungen, besaßen zwei Güter, und der Onkel Felix von Cramm würde in den Bundestag einziehen. Der junge Servatius beendete in diesem Jahr sein Studium, ging dann für ein Jahr nach Amerika, in irgendeinen Autokonzern – schließlich sollte er einmal die Leitung der Motorenwerke Bartholomäi & Schubart übernehmen. Stuttner war Luftwaffenoffizier gewesen und Anwalt geworden, mit ihm und Gerda Conradi begann Irene die Tennis-Matchs |265| des jungen Orgas zu besuchen. Nur einer von denen, die Marie-Luise ins Haus zog, war eine offensichtliche Null, Behnke, ein kleiner Schwachkopf, der von nichts etwas verstand und über alles redete. Aber man braucht auch einen, auf dessen Kosten man sich amüsieren kann.
    Irene nahm alles in sich auf, die Menschen und ihre Bestrebungen, die kleinen Komödien und die kleinen Intrigen, die Heiterkeit und die Sicherheit, den Drang nach Dingen, Beziehungen und Kenntnissen, die einen in Geld, Ruhm, Macht und Einfluß ausdrückbaren Wert besaßen. Sie nahm alles in sich auf, ohne sich darum zu bemühen oder auch nur eigentlich darauf zu achten, ohne ihren Lebensrhythmus merklich zu ändern. Dabei hatte sie oft das Gefühl, daß hinter all diesen Gesprächen und Unternehmungen noch etwas sein müsse, der eigentliche Sinn, daß sich hier nur das Äußere zeige, hinter dem das Wichtigere verborgen war. Sie alle waren nette und tüchtige Leute, auf selbstverständliche Weise vertraut mit der Welt – woran lag es nur, daß sie, Irene, keinen Zugang fand zu ihrem Wesen, ihrem Eigentlichen? Sie fragte sich das oft. Manchmal empfand sie aber auch den Wunsch, selbst so zielstrebig und direkt sein zu können wie die anderen, und in solchen Augenblicken wurde sie es fast. Es war ja alles ganz einfach, man ging zum Tennis, zu einer Ausstellung junger Maler, zu einer Party bei Orgas, man sprach über dies und jenes, ohne alles ganz ernst zu nehmen, man unterhielt sich eben. Was war schon dabei? Es ist wohl doch alles nur so ernst, wie wir es selber machen; so hatte es der junge Servatius ausgedrückt. Der hatte überhaupt kuriose Einfälle. Sie hatte ihn gefragt, wie es seinem Vater gehe. Ach ja der. Eine Herzgeschichte, wissen Sie. Er ist meist am Starnberger See, wegen der Luft. Neuerdings muß er auch noch eine Brille tragen. Wissen Sie, die Amerikaner mußten ja den Krieg gewinnen, bei so einem Gegner, eine Nation von Brillenträgern und Plattfüßen!
    Die von Cramms wohnten außerhalb der Stadt, in einem Mittelding zwischen Villa und Herrenhaus, in einem Park |266| gelegen, breite Autoanfahrt, die doppelte Freitreppe erlaubte den Herrschaften, die gerade nicht besonders gut miteinander standen, auf verschiedenen Seiten emporzukommen. Im Park ließ man ein Schwimmbecken bauen, swimming-pool, nach der neueren Terminologie, im August sollte es fertig sein. Irene war zum Neptun-Fest eingeladen, so hieß die Einweihungszeremonie, eine Idee von Hilmar Servatius. Sie würde hinfahren, war auch schon einige Male dagewesen. Man mußte die ganze Stadt durchqueren, wenn man zu den Cramms wollte, und kam man von ihnen, wurde der atmosphärische Unterschied zwischen der gelassenen Zurückgezogenheit des Crammschen Besitzes und der lärmenden Geschäftigkeit der Stadt recht augenfällig. Es wurde gebaut, auch nachts, überall flimmerten wieder die Lichtreklamen, Persil bleibt Persil, trinkt Coca-Cola, die Leute amüsierten sich, jeder auf seine Weise, am deutschen Rhein nur deutschen Wein. An den Straßenecken allerlei Neues, Grundig-Boy – das Kofferradio für jede Gelegenheit. Neues auch auf den Dächern, »Café Orient« – versteckt, aber nett. Löwen-Senf, und über uns der Himmel. Und die Leute amüsierten sich so, daß es aussah, als wollten sie keine Zeit dabei verlieren. In der Innenstadt Betrunkene, an den Litfaßsäulen das Horoskop für jedermann … auch Du hast Dein Schicksal in der Hand.
    Mondaufgang des Abendlandes nannte Hilmar Servatius das, er mühte sich wirklich redlich. Jedesmal an der gleichen Stelle blendete die Telefunken-Reklame auf, lief an der Hauswand herunter, blendete in die Frontscheibe. An dieser Kreuzung hatte ihr Martin einmal eine Zigarette angezündet …
    Die Cramms waren umgängliche Leute, moderne Ansichten, Felix von Cramm, wenn er einmal da war, schloß sich an, wenn ›die Kinder‹ irgendeine kleine Verrücktheit unternahmen. Ganz anders die Familie Conradi, der Herr Oberbürgermeister kam höchstens einmal herein, sagte

Weitere Kostenlose Bücher