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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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würdig guten Tag, Gerda war immer in Sorge, jemand könnte zu laut |267| sein. Am meisten wunderte sich Irene über ihren Vater: er lud eines Abends, mitten aus heiterem Himmel, die ganze Gesellschaft ins »Roxy« ein, unterhielt sich mit dem Mixer über Cocktail-Rezepte, kannte die Bardame, duzte sich mit Orgas und Hilmar Servatius, der Kellner brachte dem Herrn Doktor seine Lieblingszigarren. Er ließ sich von Vera Spremberger ›Doc‹ nennen, tanzte mit Irene und spielte ihr den graumelierten Liebhaber vor, forderte Fred von Cramm zum Duell, weil er ihr einen Blick zugeworfen hatte, sie trugen es auch aus: wer mit einem Strohhalm zuerst ein Glas Sekt ausgetrunken hätte. Stuttner und Vera Spremberger boten sich als Sekundanten an. Ließ sich schließlich zweimal von der Bar-Kapelle diesen blöden Schlager vorspielen: Der Mann, den ich lieben kann, muß so wie mein Daddy sein …
    Im »Blauen Wellem« war Irene nicht wieder gewesen, sie wußte: auch Martin ging seltener hin. Gösta Giseking allerdings hatte sie einmal in Köln getroffen. Aber es zeigte sich, daß man sich nichts zu sagen hatte; eine Zufallsbegegnung, ein paar Zufallsfloskeln. Sie hatte fast den Eindruck, daß der Giseking die Begegnung lästig war, traf damit auch ziemlich die Wahrheit. Das war doch – ja, dieses Mädchen, das mit Lewin gegangen war. Ein bißchen farblos wie all diese jungen Leute in gemachten Betten. Sie wird doch hoffentlich von mir nichts über ihn erfahren wollen? Besonders glücklich wird sie kaum sein mit ihm. Diese Mädchen haben alle das Bedürfnis, sich in der heroischen Tragik ihrer Gefühle zu baden, möglichst vor Publikum. War doch eigentlich ein gescheiter Junge, Lewin, wie kam sie nur zu ihm?
    So verging die Zeit. Und so verschob sich unmerklich das Gefühl, das man von der Welt hatte und der Rolle, die man in ihr spielte, das Lebensgefühl. Man trieb, sacht, und hatte bei der spiegelglatten Wasseroberfläche so gar kein Gefühl für die Strömung.
    Das beste gegen innere Unruhe ist noch immer äußere Bewegung. Man braucht das nicht zu wissen, die Natur hilft |268| sich selbst. Unten im Garten, hinter den Hecken, kroch der Gärtner durch die Erdbeer-Rabatten. Therese würde sicher backen, obwohl sich außer Marie-Luise niemand etwas aus Erdbeertorte machte. Irene ging in die Küche.
    Therese wollte sich nie helfen lassen, schon damals im Krieg nicht, als Irene noch Zöpfe trug. Insgeheim aber freute sie sich doch, wenn Irene auch mehr Unordnung anstiftete als Ordnung. Sie gab ihr einen Kochlöffel, ließ sie die Gelatine anrühren. Irene hatte eine Schürze vorgebunden, dachte dabei: Wenn Fred Cramm mich jetzt sehen könnte, oder Vera! Einer sah sie aber doch: Hollenkamp. Er wollte in die Stadt fahren, steckte den Kopf zur Tür herein: »Therese, könnten Sie mal nach meiner Frau sehen? Der Wetterumschwung, es geht ihr nicht besonders.« Er schmunzelte, als er Irene sah in ihrer Schürze, das erhitzte Gesicht, vom Gelatinerühren hing ihr eine Haarsträhne in die Stirn. Entwickelt wahrhaftig Hausfrauentalente, die Kleine.
    Aber er hatte den Kopf voll. In der DCG herrschte Gewitterstimmung. Die Zuwachsrate und der Produktionsausstoß stiegen, was sich sowohl an den Börsen als in den Dividenden anzeigte, folglich hatte sich befriedigtes Palaver ergeben auf der letzten Hauptaktionärskonferenz. Aber der Weltmarktanteil stieg noch immer nicht, fiel sogar in einigen Werten. Vorläufig war der Inlandsmarkt beinahe unbegrenzt aufnahmefähig, aber man konnte sich an fünf Fingern abzählen … Man wußte: anderen ging es nicht anders, AEG, Daimler Benz, Bayer, Hoesch, Siemens-Halske, Klöckner, Badische Anilin und Soda, Gelsenkirchener Bergwerks-AG. Eindrangen vor allem Amerikaner und Franzosen. Bonn strampelte, aber der Wirtschaftsrat blieb natürlich stur, die Engländer verzögerten, und die Hohen Kommissare schwiegen sich eins. Die Verflechtung der zerrissenen Stränge ging zu langsam, außerdem hatten vor allem die Amerikaner vier Jahre Entwicklungsvorsprung, man hatte schließlich einen Krieg verloren. Gar nicht auszudenken, wenn auch noch der |269| Osten das Tempo mitbestimmen könnte, man stelle sich das vor. Gottlob konnte er es nicht, war alles schön durcheinander dort, Rohstoffbasis, Chemie, Schwerindustrie, natürliche Verbindungen unterbrochen, Betriebe zerbombt, mehr als bei uns, was denen übrigens auch so schon wesentlich mehr ausmacht, denn sie haben bloß das bißchen Mitteldeutschland. Man sorgte

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