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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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her, es war mit einer Hitzeperiode zu rechnen, einer Dürre, die über das Land herfallen würde und die Flüsse austrocknen, die Brunnen und die Bäche und die Talsperren. Das konnten sich die Leute in den Wetterwarten schon ungefähr ausrechnen.
    Hermann Fischer fuhr nach Berlin. Er trug seinen besten Anzug, den hatte Ruth gestern noch einmal gebügelt und gebürstet, und im Gepäcknetz über ihm lag ein Köfferchen, das war ganz neu. Und der ihm gegenüber saß, das war der Genosse Papst, der erste Sekretär der Kreisleitung. Hermann Fischer war von der Wismut-Kreisorganisation zum Parteitag delegiert, der Genosse Papst von der territorialen. Es gab nämlich alles doppelt im Wismut-Gebiet, die Partei, den Jugendverband, die HO und die Sozialversicherung. Sogar die Gesellschaft für Freundschaft mit der Sowjetunion gab es doppelt, einmal für Wismutangehörige, einmal für die übrigen.
    |272| Draußen fuhren die Äcker mit, die Erzgebirgswälder, die Dörfer in Talschneisen geschmiegt, auch ein bißchen Regen war noch da. Die Wolken hingen sehr tief herab, bis in die Täler, der Hochwald an den Hängen verlief sich in den Nebeln. Auch das Flüßchen fuhr ein Stück mit, die Zwickauer Mulde, und war sehr wild und aufgeregt, und sprang über rundgewaschene Steine hin, immer an der Bahnlinie entlang, immer in Reichweite. Rotweiße Latten hingen von quergespannten Drahtseilen in den Fluß, bewegten sich unterm Wind, das waren die Markierungen für den Slalom der Wildwasserkanuten. Hermann Fischer hatte ihnen manchmal zugesehen beim Training, wenn er in der Gegend zu tun hatte. Er beugte sich zum Fenster und sah flußabwärts voraus, soweit der Fahrtwinkel zuließ. Es war heute aber niemand auf dem Wasser.
    »Das ist auch so ein Sport«, sagte Balthasar Papst. »Vergangene Woche hat sich einer den Schädel bei eingeschlagen, auf einem Stein, als sein Boot kenterte. Stand in der Zeitung. Ich möchte bloß wissen, was die davon haben.«
    »Gott ja«, sagte Hermann Fischer, »beim Fußball wird schließlich auch geholzt.« Er wußte, daß Papst kein Spiel der einheimischen Wismut-Mannschaft versäumte, obschon er sonst nicht viel übrig hatte für alles, was irgend nach Bergbau roch.
    »Das liegt am Schiedsrichter«, sagte Papst. Er streckte einen Zeigefinger in die Luft. »Wenn der nicht durchgreift von Anfang an, dann ist nachher keine Linie mehr reinzukriegen. Da macht er sich höchstens unbeliebt. Hat schon mancher die Jacke vollgekriegt, nach dem Spiel. Aber wenn von Anfang an richtig durchgegriffen wird, dann passiert so was nicht.«
    Weiter hinten im Zug, zweiter Klasse, saßen Christian Kleinschmidt und Peter Loose, saßen mit dem kleinen Heckert, dem FDJ-Sekretär, und mit Mehlhorn, der es gern werden wollte. »Achtzehn«, sagte Christian Kleinschmidt, »zwanzig.« Und der kleine Heckert sagte »Ja, ja«, und bei dreißig sagte er: |273| »Na gewiß doch«, und taufte Rot-Hand. Sie hatten einen Koffer hochkant gestellt und zwischen ihren Knien, hatten ein paar Bierflaschen stehen unter dem Fenster, und Mehlhorn, der sich aus Bier nichts machte und auch nicht Skat spielen konnte, Mehlhorn langweilte sich sehr. Vorsorglich hatte er eine »Junge Welt« eingesteckt, er blätterte und las hier ein Stück und da eine Überschrift, aber er langweilte sich. Und er war dem kleinen Heckert böse, weil der sich so einfach unter diese Brüder mischte; merkte er denn nicht, was für welche das waren? Und überhaupt: ein FDJ-Sekretär, der Skat spielte, wo gab es denn so was?
    In Zwickau hielt der Zug eine Weile. Ein paar Leute stiegen zu, ein paar stiegen aus, und einer schob sich den Gang entlang im Erster-Klasse-Wagen, an den Abteilen vorbei, einer im Gabardinemantel, steifer Kragen, goldene Uhrkette über schwarzseidener Weste, Goldrandbrille. Stand vor Hermann Fischers Abteil und hatte schon die Hand erhoben, ging aber dann doch weiter. Sowieso wäre Hermann Fischer lieber zweiter Klasse gefahren, genau dieser Typen wegen, die verirrten sich nicht auf ungepolsterte Holzbänke. Aber seine Leute hatten ihm die grüne Karte in die Hand gedrückt und hatten gesagt: Du bist die herrschende Klasse, also fahre standesgemäß! Noch auf dem Bahnhof hatte er sich verdrücken wollen, weiter nach hinten, in die Zweite-Klasse-Waggons. Aber der Genosse Papst hatte ihn erstaunt angesehen und gesagt: Was soll der Blödsinn, der Platz ist doch bezahlt … Da hatte sich Hermann Fischer gefügt.
    Und draußen begannen die Ebenen. Hermann

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