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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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auch dafür, daß denen nicht zu wohl wurde, zum Glück müssen sie mit unseren Leuten arbeiten, bleibt ihnen keine Wahl.
    Aber man hatte leider selber noch nicht überall die richtigen Leute an der richtigen Stelle. Servatius wird ja nun im Herbst doch Staatssekretär, wenigstens das war in Ordnung gebracht. Aber sonst … In Hollenkamps Büro zeichnete sich ziemlich deutlich ab, was alles aufzuholen war. Die US-Konzerne hatten schön abgedichtet, nehmen ist nahrhafter denn geben. Statt Kapital floß Maisgrieß. Zwar wissen sie, daß sie müssen, aber manche Leute schicken ihre Ängste noch immer in die falsche Richtung, von wegen Nürnberg und so. Reden allein helfen da nicht, wenn das auch ganz hübsch klingt, Marshallplan, europäische Wirtschaft, atlantische Gemeinschaft, Integration. Gottlob stiegen die Aktivposten, denn man hatte seine Verbindungen, hatte ein gemeinsames Anti, das war unbezahlbar, und man hatte einen Kanzler, der das wußte, der seinerseits Verbindungen hatte und das gemeinsame Anti virtuos dirigierte, und man hatte zu den gemeinsamen alten Interessen gemeinsame neue, und hatte hinter allem die Gefährdung für die gemeinsame Lebensform, das verband, da konnte keiner so, wie er wollte, da stiegen die Aktien wieder, das macht uns so leicht keiner nach.
    Und dennoch hatte Hollenkamp den Kopf voll. Obendrein dieses Nieselwetter. Die Straßen glatt wie Schmierseife. Was die da draufgeschmiert haben ist alles, bloß kein Bitumen. Da legt es auch schon einen Radfahrer lang. Bringen Sie mal die Karre zum Stehen, auf so einer Rutschbahn! Das schlittert weiter, ob Sie wollen oder nicht. Da können Sie gar |270| nichts machen. Wahrlich, es wird einem nichts geschenkt. Na, ist ja noch mal gut gegangen, wie’s scheint. Sind ja noch mal haarscharf vorbeigekommen, wahrhaftig. Aber die Laterne, die war verdammt nahe. Sicher, man müßte langsamer fahren, und vorsichtiger, ganz klar. Aber die Zeit, diese verdammte Zeit … Wenn einem bloß diese verdamme Zeit nicht so im Genick säße.
     
    Noch nie im Leben war Hermann Fischer in einem Erste-Klasse-Abteil gefahren. Gereist war er oft, wenn auch meist nicht aus freien Stücken. Hinter Gitter gepfercht war er gereist, auf Holzbänken, auf Stehplätzen, in Viehwaggons. Aber noch nie erster Klasse, in einem D-Zug-Wagen, auf gepolsterten Sitzen, und nur zwei Mann im Abteil.
    Draußen nieselte es. Der Himmel war eingetrübt. Der Tiefausläufer hatte den Fluß überschritten, der Deutschland teilte. Randstörungen regneten sich ab in den Kammlagen der Mittelgebirge.
    Der deutsche Regen kam fast immer aus Südwest bis Nord, seltener aus Südost bis Süd, aus dem Osten kam er fast nie. Vom Atlantik kam er und über den Kanal, kam über die Biskaya und über die Deutsche Bucht von Island her, aus dieser Richtung kam er fast immer. Die Hochdruckgebiete kamen aus dieser Richtung und die Tiefs, kamen mit dem Golfstrom oder von der ewigen Eisgrenze, von den Azoren oder vom Polarkreis, und es gab eine Wissenschaft in diesem aufgeklärten Jahrhundert, die konnte mit einiger Sicherheit voraussagen, wie sich das Wetter für die nächsten zwei, drei Tage einrichten würde. Die meisten Menschen glaubten an diese Wissenschaft, obschon sie mitunter irrte. Sie glaubten, daß man voraussehen könne und voraussagen, und manche glaubten sogar, daß man das Wetter beeinflussen könnte eines Tages. Überhaupt glaubten viele Menschen in dieser Zeit und in diesem Land, daß die Natur erkennbar sei und |271| korrigierbar, daß man sie verändern könne und für den Menschen günstiger einrichten. Es gab auch welche, die glaubten, man könne ähnlich verfahren mit der menschlichen Gesellschaft und ihrer Geschichte. Das waren aber noch nicht gar so viele. Und nur sehr wenige waren, die wußten, wie das praktisch zu machen sei.
    Draußen vor dem Fenster waren die Qualmschwaden der Lokomotive, der Regen drückte sie nieder, Rußpartikel vibrierten im Fensterrahmen, man fuhr mit Braunkohle östlich des Flusses, der Deutschland teilte. Die letzten Wismutschächte waren draußen, dann die ersten Steinkohlenschächte, dazwischen Wälder und Felder und Dörfer und Städtchen, und selten war ein Stück Erde, das sich nicht einen Hügel hinanzog oder in ein Tal stieg. Der Regen regnete sich ab und wurde dünner, je mehr sich der Zug den Ebenen näherte. Die Leute in den Wetterämtern wußten bereits, daß dies für lange Zeit der letzte Regen war. Dem Tief folgte ein unabsehbares Hoch von Westen

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