Rummelplatz
Wenn er einfach vorm Eingang stehenbliebe, müßte sich der Laden retten lassen. Nämlich: die Bande mußte ihn beiseite drängen, falls sie hereinwollte, dann aber war Gewalt im Spiel, und er war nicht mehr haftbar. Er sah sich noch einmal um, ob niemand |91| in der Nähe wäre, der ihm ein bißchen Beistand leisten könnte. Er sah aber keinen. Bloß dieser Lange da, der mit dem Oberschülergesicht, der schien sich mit seinen Leuten nicht ganz einig zu sein, redete auf sie ein in seinem schönen Leipziger Sächsisch, aber er kam natürlich nicht an. So stellte sich der Schaukelbesitzer also breitbeinig vor den Eingang. So schob ihn die Horde also beiseite. Und rings die Massen gafften.
Heidewitzka, wie er so den Kahn bestieg, hatte alles in allem ungefähr einen Liter Schnaps im Bauch, und Loose hatte nicht viel weniger. Dennoch traten sie erstaunlich munter an. Der Schaukelbesitzer hatte sich seitlich abgesetzt, an der Bremse stand nun Spieß. Ganz schön Fahrt machten die beiden, hatten schon den toten Punkt, wegblieb der Platz unter ihnen und raste heran, abebbte der Lärm und schwoll, nun gab’s den bekannten Knacks im Trommelfell, wie wenn der Förderkorb in den Schacht fährt, Taubheit blieb über schrillem Pfeifton, Fahrtwind plus Druck, und die Halterung knirschte, und die Horde riß die Augen auf, unheimlich Fahrt machte Loose, Heidewitzka hing schon ein wenig klamm in den Sielen, Looping the loop, orientierten sich nach Hell-Dunkel und zählten: dunkel oben hell unten eins, dunkel oben hell unten zwei, und im Abseits zählte die Horde, zählte einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, und Loose versuchte die Gesichter zu unterscheiden, Ingrid suchte er vor allem, aber ein bißchen auch den langen Kleinschmidt, es war aber nichts zu machen, es war alles eins, und hatte vor sich Heidewitzkas verkrampftes Gesicht, das war verdammt käsig, und er dachte: Hoffentlich fällt ihm nicht das Frühstück aus dem Gesicht, und dann dachte er: Wieviel Runden haben wir denn jetzt? Aber das wußte er nicht mehr. Und von unten beobachtete der Schaukelbesitzer. Hoffentlich machen die Stenze da keinen Murks, dachte der Schaukelbesitzer. Hoffentlich übernehmen sie sich nicht. Die ganze Bande brüllte, und die Leute draußen rissen Maul und Nase auf. Als ob das eine Sensation wäre. Er, der Schaukelbesitzer, hatte schon |92| Burschen erlebt, die ihre dreißig Runden glatt wegdrehten. Allerdings nicht mit einem Liter Sprit im Bauch. Der eine hing ja ganz schön klamm im Gestänge. Dem wurde es schlecht, das war klar. Wenn der Schaukelbesitzer an der Bremse stünde, er würde jetzt abbremsen. Er kam aber nicht durch, die Menge stand wie eine Mauer. Dreißig! brüllte jemand. Und sie kamen noch einmal hoch und noch ein zweites Mal. Jetzt aber war endgültig Sense. Jetzt kam der Kahn zurück. Verdammt noch mal, der hing ja da drin wie eine Leiche! Der Kopf fiel herunter, ward vorwärts wieder hochgerissen, sackte wieder weg! Der Stenz an der Bremse hatte jetzt auch etwas gemerkt, er zog, was das Zeug hielt. Die Menge kreischte, und der Schaukelbesitzer brach nun mit Gewalt durch die Mauer. Da stand der Kahn. Loose stand da, keuchte, stieg langsam aus; Heidewitzka lehnte käsig an der Zugstange, stieg nun mit einem Bein auf die Bordkante, löste die verkrampften Finger, schlaff hing der Unterkiefer herab, aber das konnte Loose schon nicht mehr sehen, denn er war schon die Stufen hinunter, sah nicht, wie Heidewitzka zusammensackte, wie er vornüberfiel in steifer Drehung, wie er auf die Trittleiste schlug, er hörte nur die Menge aufschreien und sah ihre verzerrten Gesichter, und dann sah er, wie Heidewitzka die Stufen herabrutschte auf den Schlackeboden.
Kleinschmidt und der Schaukelbesitzer waren als erste heran. Dann kam auch Spieß. »Wasser«, befahl der Schaukelbesitzer. »Da am Hydranten!«
Loose brachte einen Eimer und ein schmieriges Handtuch. Heidewitzka lag mit dem Kopf in einer gelblichen Lache, die Augen geschlossen. Hinter dem Ohr sickerte Blut. Es roch nach Schnaps und Schweiß und Erbrochenem. Loose wischte dem Bewußtlosen vorsichtig das Gesicht ab.
Zu viert schleppten sie Heidewitzka ins Lager: Kleinschmidt, Spieß, Radieschen, Titte Klammergass. Da zeigte sich, daß |93| die Verletzung gar nicht so schlimm war. Schlimm hingegen war die Alkoholvergiftung. Der Lagersanitäter rückte der Wunde zuleibe mit Jod und Heftpflaster.
Peter Loose war nicht mit ins Lager gegangen. Er ging mit Ingrid die
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