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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Ersatzkerzen«, sagte Irene auf gut Glück. Was nun?
    Da machte Lewin eine Entdeckung. Das Licht der Straßenlaterne hob auch ein Stück von dem Haus, vor dem sie standen, aus der Dunkelheit. Und dort war ein Firmenschild: Dietrich Landser, Nähmaschinenreparatur. Vielleicht … Aber so ein Nähmaschinenmann wird sich wohl kaum auf Autos verstehen, und Zündkerzen hat er bestimmt auch nicht. Immerhin, man konnte hier nicht anwachsen. Es mußte etwas geschehen. Und so entschloß sich Martin Lewin, fand einen Klingelknopf, drückte. Die Glocke schepperte irgendwo weit hinten.
    Und wirklich, es kam jemand. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Tür ward aufgetan, und es erschien einer in einem Schlosseranzug. Das war schon ganz gut. Der Mann war noch jung, und ein älterer Mann wäre Lewin aus unerfindlichen Gründen lieber gewesen. Aber da war nichts zu machen. |145| Also fragte Martin, ob er vielleicht der Herr Landser sei, was mit der Sache nicht viel zu tun hatte. Es war der Herr Landser. Und Martin fing an, ihm die Sache auseinanderzusetzen.
    Der Nähmaschinenmann schien nicht sehr begeistert. Irene, die aus einiger Entfernung zusah, bemerkte, wie er unschlüssig mit den Schultern zuckte. Der Herr Landser hätte natürlich rundweg ablehnen können, es war nicht sein Handwerk, und die Zeiten, da man es nötig hatte, alles und jedes zu tun, um des lieben bißchen Lebens willen, waren gottlob vorbei. Warum er sich das Auto schließlich doch ansah, wußte er selbst nicht recht. Sicher, er verstand etwas von Motoren. Nicht umsonst hat man vier Jahre beim Barras gefahren. Es war ein Citroën, die Sache interessierte ihn. Na, und schließlich, aber das verkneift man sich besser, Geschäft ist eben doch Geschäft.
    Der Herr Landser ließ sich also erklären, daß es vermutlich etwas mit den Kerzen sei. Er fand sehr schnell, daß es nichts mit den Kerzen war. Er schwieg sich aber aus. Er sagte auch noch nichts, als er heraus hatte, daß dem Wagen nichts weiter fehlte als Benzin. Er stellte stillschweigend auf Reservetank um und erklärte beiläufig, man müsse gelegentlich wieder mal tanken. Und immer schön durch ein Tuch gießen, nicht wahr, man weiß heutzutage nie. Dann baute er die Kerzen aus und erkundigte sich, ob die Dame den Wagen schon lange fahre. Er gehört dem Herrn Vater? Und sie fährt erst seit drei Monaten, soso. Ob einer der Herren so nett wäre, von der anderen Seite das Zündkabel abzuklemmen. Nein, das ist es nicht, das auch nicht, ja, das dort. Dankeschön. Und da ist auch ein Lappen.
    Der Herr Landser bat nun um ein Momentchen Geduld und verschwand mit den Kerzen in seiner Werkstatt. Dann hörte man ihn nach einer gewissen Traudel rufen, seine Frau vielleicht, welche man jedoch nicht zu sehen bekam. Man erfuhr aber, daß der Nähmaschinenmann doch Kerzen auf |146| Lager haben mußte, denn er rief der Traudel zu, sie solle sie doch bitte von hinten mitbringen. Irene fand inzwischen die Hilfsbereitschaft des Herrn Landser allen Lobes wert, und auch Lewin äußerte sich in diesem Sinne. Vitzthum wiederum hatte eine Narbe über Herrn Landsers Nasenwurzel entdeckt und meinte: »Es sieht aus, als hätte er drei Augen.«
    Der Mann mit den drei Augen kam zurück und setzte schöne saubere Kerzen ein. Er bat Irene, am Steuer Platz zu nehmen – und siehe da: Der Motor sprang an. Was man ihm schuldig sei, konnte der Herr Landser natürlich nicht sagen, verständlich, es war ja nicht sein Beruf. Den Geldschein, den Irene ihm anbot, nahm er aber doch.
    Dann, als sie wieder fuhren, stand er noch eine Weile am Straßenrand und sah ihnen nach. Läßt sich denken, was er sich dachte.
    2.
    Der »Blaue Wellem« war eines jener Lokale, wie sie nach der Währungsreform förmlich aus dem Boden schossen. Es war das schlechteste nicht; die Konkurrenz gebot, den Gästen etwas zu bieten. Dies hier bot altdeutsche Heimeligkeit unter echten Petroleumlampen, echten Butzenscheiben und einem falschen Dürer. Zu ebener Erde. Im Keller allerdings, wie man die Bar nannte, bot sich Modernität auf zwei Saxophonen und zu erhöhten Preisen, man saß auf gepolsterten Fässern oder auch in Metallrohrsesseln, was sich seltsamerweise miteinander vertrug.
    An den Sonnabenden sind überall in diesem Land die Schenken voll; saure Dünste lagern, denn es verläuft hier die Wasserscheide zwischen dem Wein- und dem Biertrinkerrhein, auch der Tabakrauch steht dicker, die Zigaretten werden wieder legal gehandelt. Oben sammeln sich die

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