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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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auch keinen, der mich unterstützt hätte. Aber das allein war es nicht. Es war Wut, Enttäuschung und – Gleichgültigkeit. Es war auch Trotz. Vor allem aber war es Dummheit. Ja, er konnte jetzt schon darüber lächeln. Wenn ihr mir keinen Studienplatz gebt – ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Ein richtiger Dummerjungentrotz.
    Plötzlich aber dachte er: Wie denn, dann wäre ich ja tatsächlich der Dumme. Dann wäre Pinselstein, der da in seinem gemachten Bett lag, besser als ich. Dann wäre es klüger, Apothekenhelferin zu lernen wie Gabi – und es wäre ein Verdienst, einen Vater zu haben, in dessen Geschäft man eintreten konnte, wie Münz es getan hatte. Nein, dachte er, so einfach kann das nicht sein. Es darf nicht so sein.
    Und in ihm erwachten der Wunsch und der Wille, allen, denen das Leben glücklichere Umstände vorgegeben hatte, allen, die stolz waren auf etwas, das sie gar nicht geleistet hatten, und glaubten, ihm ihr Mitgefühl ausdrücken zu müssen, zu zeigen, was er aus eigener Kraft erreichen würde. Ich werde es euch beweisen, dachte er. Ich werde es weiter bringen als ihr alle!
    Später tanzte er mit Gabi. Christian war ein sehr schlechter Tänzer, er wußte es. Aber der Alkohol hatte ihn unternehmungslustig gemacht. Er, der sonst eher zurückhaltend und eher zu still war, war nun aufgeräumt und fast ausgelassener als die anderen. Er tanzte auch besser als sonst. Er fand Gabi sehr nett, und nur einmal dachte er noch: Was wird schon werden … Entweder sie studiert Pharmazie oder sie heiratet irgend so einen stinkakademischen Mediziner – |202| bestenfalls tut sie beides. Aber wenn man so aussieht, wird man wahrscheinlich auf der Stelle geheiratet, Prinz mit Auto und so. Ein klein wenig war er schon betrunken.
    Er tanzte auch mit dem Mädchen Mechthild und fand sie nun ganz lustig, forderte schließlich auch das andere Mädchen von der Bauhochschule auf. Sie war blond und schlank und sah sehr kostbar und zerbrechlich aus, sprach aber ein scheußlich breites Sächsisch. Sobald sie den Mund aufmachte, war jede Illusion dahin.
    Der Abend endete im Alkohol. Pinselstein wurde mit den Stunden immer streitlustiger, er verwickelte die Jungen von der Bauhochschule in endlose Fachsimpeleien – die Mädchen schmollten. Münz brachte Gabi Reinhard zur Straßenbahn, kam dann noch einmal zurück und trank mit Christian und den beiden Mädchen den restlichen Wodka zur restlichen Zitrone. Dann lud er sie in ein Nachtlokal ein. Sie gingen, von den angehenden Bauingenieuren unbemerkt. Spät in der Nacht kam Christian nach Hause.
    Er erwachte erst am späten Vormittag. Er wußte noch, daß er auf einem Barhocker gesessen hatte, allerlei undefinierbare Getränke getrunken hatte – er war das erste Mal in einer Bar gewesen. Wie er nach Hause gekommen war, wußte er nicht.
     
    Christian kam an diesem zweiten Januar erst abends in Bermsthal an. Er hätte eigentlich Mittelschicht fahren müssen. Er ärgerte sich: das Jahr begann erst, und gleich eine Fehlschicht.
    In der Baracke fand er nur Mehlhorn, den eifrigen Mehlhorn mit dem Bäckergesicht. Er saß am Tisch, kaute am Federhalter, schrieb einen Artikel für die FDJ-Wandzeitung. Christian wußte: er hatte den Ehrgeiz, hauptamtlicher FDJ-Sekretär zu werden. In den ersten Wochen hatte Mehlhorn immer wieder versucht, ihn und auch Peter Loose zum Eintritt |203| in den Jugendverband zu bewegen. Einmal hatte er Loose den Aufnahmeschein vor die Nase gelegt. Loose war wortlos aufgestanden, hatte eine Dreiviertelliterflasche Bergarbeiterfusel aus seinem Spind geholt, vor Mehlhorn auf den Tisch geknallt und gesagt: Los, sauf aus, auf ex – dann unterschreib ich! Da hatte Mehlhorn seinen Aufnahmezettel wieder eingesteckt. Seitdem agitierte er nicht mehr. Er versuchte es jetzt, wie Loose das nannte, auf die schleimige Tour. Er bot sich an, für Christian und Loose kleine Einkäufe zu erledigen, und schrubbte freiwillig das Zimmer, wenn er gar nicht an der Reihe war. Der Spitzname »Schleimer« sprach sich herum.
    Der erste, dem Christian am nächsten Morgen über den Weg lief, war der Steiger Fischer. Es war in der Wismut-HO, dem Barackenlager, wo sie Brot, Butter, Marmelade und Zigaretten kauften und all den Kram, den man täglich brauchte. Fischer war schon im Laden, als Christian eintrat. Christian druckste herum, sagte aber dann schließlich doch: »Ich hab den Vormittagszug verpaßt.«
    »Hab’s gemerkt«, brummte Fischer. »Es waren sechse, gestern. Ich

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