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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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dachte, du bist nicht von der Sorte.«
    In Christian erwachte der Trotz. Dann eben nicht, dachte er. Das kennen wir, alle in einen Topf werfen. Da seid ihr schnell bei der Hand.
    Am Nachmittag teilte Fischer ihn dem Hauerbrigadier Seidel zu, als Lehrhauer. Christian wußte nicht, ob es eine Strafe war oder eine Auszeichnung. Seidel galt als Sensationshauer. Seine Brigade hatte die höchste Planerfüllung im Schacht. Er verstand sich auf jede Arbeit, und sein Können wurde von allen anerkannt, er kannte aber auch jeden Trick, jede Lücke in den Arbeitsschutzbestimmungen und jeden schwachen Punkt im Normgefüge. Der Sicherheitssteiger heimste auf seinem Block keinen Pfennig Strafabzug ein, formal war bei Seidel immer alles in Ordnung – dennoch hatte der Sanitäter des öfteren mit Seidels Leuten zu tun. Ja, bei Seidel lernte man den |204| Beruf gründlich – aber man lernte auch alle Unarten kennen. Überdies verlangte er von jedem das Letzte, leicht würde es also nicht werden.
    Aber die erste Woche verlief glimpflich.
    Christian gewöhnte sich an seinen Brigadier recht schnell; Seidel wiederum hatte bald heraus, daß sein neuer Lehrhauer im Rechnen ein As war. Nach acht Tagen schon ließ er Christian die Brigadeabrechnung führen. Bei Seidel wurde prinzipiell aufgerundet, abrunden kam für ihn nicht in Frage. Wer etwas merkte, drückte ein Auge zu. Niemand wollte mit diesem Brigadier, der ziemlich so breit wie hoch war, Streit haben. Außerdem: Seidel hätte auch dann noch die höchste Leistung im Schacht 412 gehabt, wenn man seine eigenmächtigen Zuschläge abgezogen hätte – einen spitzen Bleistift hatten die anderen Brigadiere schließlich auch. Die Schichtlöhner wiederum übten genau die umgekehrte Methode; ihr Lohn war garantiert, folglich versuchten sie, so wenig wie möglich dafür zu tun.
    An einen Bohrhammer gehören zwei Kumpel. Vierzehn Tage lang war Seidel der eine und Christian der andere. Dann brachte der Brigadier eines Tages einen langaufgeschossenen Fördermann an den Stoß geschleppt und sagte zu Christian: »Ab heute schafft ihr zusammen. Zeig’s ihm.« Christian wußte inzwischen, was ein Bohrschema ist, er hatte gelernt, eine Scheibe anzubohren, und ferner, allen Verboten zum Trotz und mit einigermaßen erträglichem Risiko, Pfeifenlöcher nachzubohren. Er wußte, wie man das Gestänge günstig ansetzt, wie man die Maschine stützt, wie man Ventilkugeln auswechselt und ein ausgeleiertes Bohrfutter verkeilt, damit es wenigstens bis Schichtwechsel noch mitmacht. Er wußte, daß man beim Naßbohren langsamer vorankam als beim Trockenbohren, und daß man sich zweitens, wenn man entgegen dem Verbot trocken bohrte, die Silikose holte – und, falls man erwischt wurde, obendrein eine Strafe. Er hatte gelernt, den Stoß abzuspritzen, ohne das Bohrloch zu nässen, eine Idee |205| von Seidel. Und er wußte auch bereits, wie man es anstellen muß, um an der Prozenttafel oben im Schachthof immer die höchste Ziffer stehen zu haben – wußte es, wenn er auch die zwei Meter Vortrieb, die Seidel verlangte, noch nicht bringen konnte. Er hatte Augen und Ohren aufgesperrt, Seidel schien zufrieden.
    Er war aber mit Spieß, dem langen Fördermann, noch gar nicht richtig warm geworden, da stießen sie auf Granit. Die Bohrkrone malmte und murrte im Gestein, das Gestänge schien auf der Stelle zu bleiben, der Fördermann Spieß, der nun sein halblegaler Lehrhauer war, ließ eine Bohrstange krummlaufen wie eine Fahrradspeiche. Seidel kam zu ihnen und fluchte.
    Und nun hatte Christian keine ruhige Minute mehr. Jetzt erst lernte er Seidel wirklich kennen. Der Brigadier fluchte, beschimpfte Gott und alle Welt – und arbeitete. Er wühlte und wütete wie ein Berserker. Fischer kam und schlug ein neues Bohrschema vor. Sie probierten, es blieben zwei Pfeifen stehen, probierten wieder. Einen Meter schafften sie pro Schicht, mehr nicht. Und immer blieben Pfeifen stehen, jetzt fluchte auch der Schießer. Drushwili, der Reviergeophysiker, machte die Brigaden verrückt: der Erzplan wurde nicht erfüllt.
    Fischer schickte Bierjesus los, den Magaziner, der trieb neue Bohrkronen auf. Aber sie fuhren einen Meter pro Schicht und keinen Krümel mehr. Seidel ließ Christian allein weiterbohren, räumte das zerschossene Zentralüberhau aus und begann in Doppelschichten Erz zu pickern, um wenigstens den Erzplan und die Prämie zu retten. Christian bohrte pro Schicht einen Meter. Dann holte sich Seidel auch noch den Fördermann

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