Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
Düsseldorf und Frankfurt. Man verstand, sein Schäfchen in beiden deutschen Währungen ins trockne zu bringen – schließlich hatte ein gewissenhafter Geschäftsmann auch schon zu Zeiten des alten Balzac nicht alles in seinen Büchern stehen. Münz & Tannhauer-Flügel |199| wurden von den Konzertpianisten in ganz Europa bevorzugt, die amtlichen Stellen mußten also ein bißchen Rücksicht nehmen – man blieb auch mit der Belegschaftsstärke immer knapp unterhalb jener Grenze, die die neuen Gesetze vorschrieben. Um aber all die Verbindungen aufrechtzuerhalten, um neue Fäden zu knüpfen und stille Vereinbarungen zu treffen, bedurfte es eines beweglichen Mannes, der sich sowohl in der Branche als auch in den ständig wechselnden Bedingungen des Nachkriegsgeschäftes auskannte. Roland Münz war im Begriff, dieser Mann zu werden. Noch war er ein wenig jung für das seriöse Piano-Geschäft; andererseits aber war seine Jugend bei diesen Zeiten ein großer Vorteil. Welcher Außenstehende vermutet schon, daß eine so altrenommierte Firma ihre kniffligsten Verbindungen ausgerechnet diesem kaum erwachsenen Oberschüler anvertraut?
    Christian begriff jedenfalls nicht. Vielleicht, weil er von Geschäften ohnehin nichts verstand, vielleicht auch, daß er nicht in der rechten Stimmung war. Er war heute wirklich ein recht oberflächlicher Zuhörer.
    Einer von den angehenden Bauingenieuren hatte inzwischen auf Rechtsanwalt Pinselsteins großem Telefunken das AFN-Programm eingestellt. Eines der Mädchen – sie hieß Mechthild – hatte aus Pinselsteins Wodka, aus den Zitronen und dem Kaffee, die Münz mitgebracht hatte, ein Getränk hergerichtet, das sich Nikolaschka nannte. Die Bauleute hatten überhaupt so merkwürdige Namen: das Mädchen hieß Mechthild, der Mann am Telefunken hieß Armin, und Christian vermutete, daß der dritte mindestens Alarich heißen müsse.
    Münz hob sein Glas. »Cheerio!« – Man kaute die Zitronenscheibe mit dem aufgehäufelten gemahlenen Kaffee, trank den Wodka hinterher; Christian tat es den anderen nach. Pinselstein hatte ihnen inzwischen erzählt, wo Christian arbeite. Die Mädchen fanden das riesig interessant, |200| die Burschen gaben sich, als verstünden sie etwas davon. »Das muß doch sehr gefährlich sein«, sagte das Mädchen Mechthild. »Haben Sie gar keine Angst, daß mal so ein Schacht einstürzt?« Armin meinte: »Das kommt immer mal vor. Damit muß man eben rechnen.«
    Christian fand sie albern. Er kam sich alt und erfahren vor. Diese Bauleute – der reinste Kindergarten. Auch Roland Münz griente; er zog Christian und Gabi Reinhard ins andere Zimmer hinüber, später kam auch Pinselstein nach. Nebenan wurde getanzt, man vermißte sie nicht. Pinselstein fragte: »Sag mal, wie lange willst du das noch aushalten da unten? Das ist doch nichts für dich.« Christian zuckte mit den Schultern. Münz sagte: »Kann denn dein Alter nichts tun?«
    Ja, wie sie sich das so vorstellten. Natürlich, bei ihren Vätern … Der Herr Rechtsanwalt und der Herr Klavierbauer. Und Gabi, was war eigentlich ihr Vater? Er wollte schon fragen, da fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, daß Hans Reinhard gefallen war. Es hatte doch seinerzeit diesen Krach gegeben in der Schule. Hauptmann Hans Reinhard war, als er bei Kursk mit einem Unteroffizier und sieben Mann zu den Russen überlief, von den eigenen Linien her erschossen worden. Einer von den FDJ-Leuten in der Klasse hatte es irgendwoher erfahren; Gabi selbst hatte nie darüber gesprochen. Der FDJ-Mann meinte, Hauptmann Reinhard sei ein wirklicher Held gewesen. Jemand hatte gesagt: Schön, aber was hat er nun davon? Und die anderen, die gekämpft haben, was ist mit denen? Es konnte ja nicht jeder so schlau sein wie ein Herr Reinhard, sonst hätte es gar keinen Krieg erst gegeben … Der Geschichtslehrer war der Situation nicht gewachsen gewesen, er hatte selber bis zum letzten Kriegstag gekämpft. Es gab einen Riesenspektakel …
    Gabi sagte: »Ich kann dich schon verstehen. Es ist besser, wenn man auf niemand angewiesen ist. Aber man verliert Zeit.«
    |201| Auf niemand angewiesen sein? Bin ich denn deswegen in den Schacht gegangen, dachte Christian. Ja, vielleicht auch deshalb. Aber eigentlich war alles ganz anders. Es war der erste Weg, der sich bot, und ich hatte keine Lust oder vielleicht auch keine Geduld, den Leuten mit Bitten und Erklärungen um den Bart zu gehen, wie es die anderen taten. Ich habe nicht an den Nutzen geglaubt. Sicher, ich hatte

Weitere Kostenlose Bücher