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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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der Dr. Jungandres war und blieb Produktionsleiter. Betriebsleiter wurde anstelle des kurz vorher verstorbenen |418| Kommerzienrats Nüßler der Industriekaufmann Dr. Kautsky, vorher beschäftigt als Prokurist, ehemals parteilos und von den Nazis im Jahre vierundvierzig wegen defaitistischer Äußerungen gemaßregelt, jetzt überraschenderweise Mitglied der SPD und still manipulierender Gegner der Vereinigung mit der KPD; als sie aber schließlich nicht mehr zu verhindern war, deren eifriger Fürsprecher.
    Dem Dr. Jungandres war der Kautsky nur recht. Mochte der ruhig den Betriebsleiter spielen und vor den Laien in den neugeschaffenen Verwaltungen sich aufblasen – der wahre Kopf blieb doch der Dr. Jungandres, jeder im Betrieb wußte das, wie es auch jeder Fachmann draußen im Land und in den umliegenden Ländern wußte, dies zeigte die erste Leipziger Nachkriegsmesse. Mochte der Kautsky ruhig auch sein Prokuristenmäntelchen in den Ostwind drehen, er würde seine Gründe schon haben – der Dr. Jungandres erriet sie unschwer, aber das war nicht sein Metier, nicht seine Sorge; sein Bedarf an Politik war auf Lebenszeit gedeckt. Er würde sich um die Produktion kümmern und sonst nichts, ein für allemal.
    So nahm er es denn auch gelassen hin, als ihm im Jahre achtundvierzig mitgeteilt wurde, auf romanhaft geheimnisvolle Weise übrigens, daß eine der DCG-Nachfolgegesellschaften, nunmehriger Rechtsträger der in der Ostzone enteigneten Deutschen Papier AG, ihm, dem Doktor Jungandres, und einigen anderen langjährigen leitenden Mitarbeitern selbstverständlich weiterhin das volle Gehalt auf ein aus Zweckmäßigkeitsgründen für ihn in Düsseldorf eröffnetes Konto zahlen würde, bis daß im Osten wieder geregelte Zustände eintreten und die rechtmäßigen Eigentümer zurückkehren würden. Sein Ausharren unter der russischen Willkürherrschaft werde man gebührend zu würdigen wissen, und so weiter. Der Dr. Jungandres konnte sich denken, wer die anderen ›langjährigen leitenden‹ Mitarbeiter waren, aber er behielt das für sich. Ihm schwante ferner, daß es mit der Entflechtung |419| – die DCG fiel unter das alliierte Entkartellisierungsgesetz – so weit nicht her sein konnte; der Stil des Büros Hollenkamp war ziemlich offensichtlich. Und als dann die Währungsreform kam, war ihm auch drittens klar, daß diese ganze Geschichte für die DCG oder deren imaginäre Nachfolger obendrein eine probate Gelegenheit war, ein paar Kilo der ohnehin wertlosen Reichsmark-Bestände vorteilhaft auf Privatkonten abzuschieben.
    Kurzum: er nahm die Nachricht gelassen auf und rührte sich nicht; anderes schien man auch gar nicht zu erwarten. Auch die übrigen ›langjährigen leitenden‹ Herren verhielten sich ruhig. Der Dr. Jungandres stürzte sich in die Arbeit, deren es übergenug gab, vergaß diese ganz spinnerte Geschichte mehr und mehr – sollten die Leute zurückkommen oder nicht, ihm war das schnurzegal.
    Das ging, solange es ging. Eines Tages dann flatterte ihm ein Brief ins Haus, in dem man ihm sehr höflich, aber doch nachdrücklich nahelegte, seinen Posten zu verlassen, bestimmte Umstände seien eingetreten, man bedürfe seiner Erfahrung andernorts, als Termin schlage man ›nach Übereinstimmung‹ den Soundsovielten vor, zu beachten sei dabei dies und zu berücksichtigen jenes, und einiges mehr dieser Art. Ferner bäte man ihn, sich mit Herrn Dr. Kautsky zu besprechen, bestimmter Einzelheiten und eventueller Fragen wegen. Aufgegeben war der Brief in Ostberlin.
    Die Selbstverständlichkeit, in der man sich seiner sicher glaubte, verblüffte den Dr. Jungandres. Die laxe Manier, einen solchen Schrieb einfach mit der Post zu befördern, fand er unglaublich. Beides zusammengenommen brachte ihn in Rage.
    Er ging zu Kautsky. Es sei wohl nicht nötig, daß er sich detailliert ausdrücke, der Herr Kollege sei ja auf dem laufenden. Nun solle er mal seine Ohren aufsperren: er, der Dr. Jungandres, denke nicht daran, sich bei Nacht und Nebel aus dem Staube zu machen wie ein Landstreicher. Dies |420| lasse er den Herren in aller Freundschaft ausrichten. Nein, er habe nicht die Absicht, sich von ihm, dem Herrn Kautsky, irgend etwas erklären zu lassen, und im übrigen könne man an ihm das Verfahren probieren, das der Götz dem kaiserlichen Hauptmann empfohlen habe, dritter Akt, soundsovielte Szene.
    Der Kautsky, als er das hörte, ging in den Clinch. Für ihn stand allerhand auf dem Spiel; ein unbedachtes Wort des Dr. Jungandres

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