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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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– oder gar ein absichtlich ausgesprochenes – konnte den ganzen Plan zerschlagen, den Kautsky womöglich ins Zuchthaus bringen. In der ersten Aufregung wollte er in den nächstbesten Zug steigen und nach Berlin fahren. Er wußte aber, daß ihm dies im freien Westen nicht als sonderlich intelligent angerechnet und wohl kaum gedankt worden wäre. So blieb er, zumal der Dr. Jungandres den Brief, das einzige Beweisdokument, ihm auf den Schreibtisch geschmettert und dort liegenlassen hatte; er blieb, ließ seine Verbindungen spielen, der Fluchttermin wurde verschoben, das Ganze umorganisiert.
    Der Dr. Jungandres wartete nun seinerseits jeden Tag darauf, den Kautsky still verschwinden zu sehen. Aber die Tage vergingen, die Wochen, der Kautsky blieb. Etwas anderes geschah: die Laborleiterin Johanna Fechner gab dem Dr. Jungandres gelegentlich zu verstehen, daß auch sie nach drüben gehen wolle, Schwarzwald, prächtige Gegend, daß sie aber sehr ungern allein gehe, kurzum, daß sie ihn, den Dr. Jungandres, der, wie sie gehört habe, unbedingt hierbleiben wolle, erstens nicht verstehen könne und zweitens recht vermissen werde. Die Johanna Fechner war des Dr. Jungandres nahe Freundin, war ihm unter seinen vielen Bekanntschaften die liebste, nun schon über vier Jahre hin. Sie war eine schlanke, nicht unschöne Fünfunddreißigerin, unsentimental und von praktischem Verstand, ein bißchen lasziv, aber von sehr gesunder und unkomplizierter Lebensart. Daß sie nach drüben gehen wollte, das traf den Dr. Jungandres in der Tat. Sie schilderte |421| ihm denn auch den Schwarzwald in den verlockendsten Farben, was im Grunde überflüssig war, er kannte ihn nur zu gut. Was ihn denn hier hielte, in dieser verschandelten Gegend, unter diesen fanatischen, banausischen Parteileuten? Er, der er doch noch jung genug sei, drüben neu an den Start zu gehen, und dem man ohnehin eine sehr ehrenvolle und seinem Können durchaus angemessene Stellung bereithalte? Ob ihn das denn gar nicht locke, ihn, der gern unter Landleuten lebe, gern zur Jagd ginge – womit es hier ja ein für allemal vorbei sei? Aber der Dr. Jungandres wehrte sich wacker. Was man da mit ihm vorhabe, sei Politik, das widerlichste aller Geschäfte, und er, Jungandres, lasse keine Politik mehr mit sich machen. Das habe er sich dreiundvierzig bereits geschworen, und dabei bleibe er. Nein, für diese Leute hier habe er in der Tat nicht viel übrig, nicht ihretwegen bliebe er. Er bliebe, weil dies sein Platz sei, weil er diesen Betrieb hochgebracht habe und weil er hier gebraucht würde. Die Johanna Fechner meinte, dies sei ja nun auch Politik. Der Dr. Jungandres aber bestritt das.
    Jedenfalls blieb er fest. Die Johanna würde ihm fehlen, soviel war richtig. Aber auch um diesen Preis ließ er sich nicht umstimmen. Man brauche sich selbstredend seinetwegen nicht zu beunruhigen, er wisse von nichts; daß er den Leuten hier nicht in die Hände arbeiten würde, dürfe man ihm ja wohl zutrauen. Und siehe, alsbald ward dem Dr. Jungandres Nachricht, daß man fern am Rhein volles Verständnis dafür habe, daß er den Betrieb nicht im Stich lassen wolle, obschon und obwohl, immerhin billige man seine Gründe, zahle sein Gehalt natürlich weiter auf das bewußte Konto und freue sich, wenigstens einen zuverlässigen Mitarbeiter noch jenseits des Eisernen Vorhangs zu wissen. Im übrigen werde man, um ihn nicht überflüssigerweise zu gefährden, vorerst keine weiteren Verbindungen zu ihm suchen.
    Der Dr. Jungandres war’s zufrieden, die Sache war erledigt für ihn. Den Tag der Flucht wußte er – Johanna hatte ihn |422| unterrichtet, in der Freitagnacht nahm sie Abschied von ihm, frisch, unkompliziert, geradezu, wie es ihre Art war. Ja, sie würde ihm fehlen – von den anderen fehlte ihm keiner. Sie würde nun nicht mehr beim Angeln neben ihm sitzen, ihm nicht mehr im Labor mit ihrer herben, vertrauten Fraulichkeit zur Hand gehen; vermißt werden würde sie auch von Dr. Jungandres’ Angorakater Stanislaus und von seinem Langhaardackel, der Herr Meier hieß. Ein bißchen einsamer war es geworden ohne sie, er gestand sich’s ein.
    Eine turbulente, arbeitsreiche Zeit stand aber bevor, er stürzte sich in die Arbeit, sie machte ihm Freude und füllte ihn aus wie immer. Mit dem Benedix als Betriebsleiter würde man auskommen können, der würde arg zu tun haben, daß er zurechtkam auf seinem Posten, und dem Produktionsleiter freie Hand lassen müssen. Vorzuwerfen hatte man sich nichts,

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