Rummelplatz
So wunderten sie sich denn über die Maßen, wenn jemand behauptete, da fingen die Probleme erst an, nämlich: was ist das, Notwendigkeit? Oder ist etwa alles, was so tut, als ob, ist das etwa alles wirklich notwendig? Ist es notwendig, daß der Meier regiert und nicht der Schulze? Ist es notwendig, daß man Krebs nicht heilen kann, und jede Woche verrecken Tausende? Ja dann, Freunde, ist von Freiheit freilich keine Rede. Dann ist man bloß ein ewiger Gefangener der Notwendigkeit. Aber wenn nun einer den Krebserreger entdeckt und ein Heilmittel entwickelt? Dann wäre also die Notwendigkeit auf einmal keine mehr. Und zwar nicht etwa durch Einsicht, sondern durch Überwindung. Muß man dann also nicht etwa ständig Notwendigkeiten niederreißen, um zu höherer Freiheit zu gelangen? Und muß man nicht ständig Scheinnotwendigkeiten entlarven, um überhaupt nur ein bißchen frei zu sein? Ist dann also jede Antwort nur der Anfang einer neuen Frage? Das waren doch Probleme, mit denen man den Mehlhörnern nicht kommen konnte; denn überall, wo sie keine Antwort parat hatten, witterten sie den |453| Klassenfeind, und wenn gar eine Frage gestellt wurde, auf die es tatsächlich noch nirgends Antwort gab, da sahen sie ihr ganzes bißchen Ordnung wanken und riefen nach dem Staatsanwalt.
Soviel also zu den Mehlhörnern. Nur: Christian war nicht recht wohl bei dieser Einteilung. Leute gab es, die sich nicht einteilen ließen, weder zu den einen noch zu den anderen, beispielsweise Christian selber, aber auch Peter Loose gehörte nicht unbedingt zur Mannschaft, und zu den Mehlhörnern schon gar nicht, auch Hermann Fischer gehörte weder noch, und man hatte einen Vater, der war wieder anders, und es hätte nicht viel genützt, wenn man die Kategorie der Alten hinzuerfunden hätte, und überhaupt: zwei Kategorien oder zwanzig, das besagte gar nichts. Fragwürdig blieb die Sache, wie immer man sie ordnete, ob nach Tonarten, nach Horizonten, nach Muttermalen hinterm Ohr.
In meines Vaters Haus, heißt es, sind viele Wohnungen. Das wissen wir noch, Konfirmandenstunde, und stimmt womöglich, nur: wer bewohnt sie?
Aber Peter Loose stach ein As. Womit er gewonnen hatte. Und hieb Spieß auf die Schulter. Weil der verloren hatte. Und sagte: »Irgendwann, irgendwann heiraten wir alle mal.«
Da sahen sie ihn nun alle an.
Aber es kam nichts mehr.
Und Titte Klammergass sagte: »Falls euch das interessiert – da kann ich mich aber beherrschen. Unter Vierzig spielt sich da nichts ab. Wenn überhaupt. Also nicht für ’n Sack voll Nasenpopel!«
»Unter Fünfzig«, erhöhte Heidewitzka.
»Und wenn wir klapprig werden«, sagte Titte Klammergass, »dann ziehen wir eben zu unseren Kinderchen. Aber heiraten, mein lieber Mann, also mit mir nicht. Nämlich wenn du nach Hause kommst, da mußt du ’n Kopfstand machen, und die Mark ist bloß noch ’n Groschen wert, und die Alte wiegt dir das Ding auf der Briefwaage nach, ob du auch |454| nicht fremd warst, womöglich. Also, da zahle ich schon lieber Alimente.«
»Sechzehn Jahre lang«, sagte Peter Loose. Und spielte Eichel-Buben aus. Und sagte: »Kinder machen, das hat mein Alter auch gekonnt. Die hätten sollen lieber ’n Zentner Holz hacken in der Zeit.«
»Bei Wasser und Brot«, sagte Heidewitzka.
»Von wegen«, sagte Peter Loose. »Da machen sie Kinder, aber weiß vielleicht einer, wie es denen mal geht?«
»…türlich«, sagte Titte Klammergass. »Mehlhorn, der weiß das bestimmt. Unsere Kinder werden im Kommunismus leben, und das Bier wird aus der Wasserleitung fließen, und außerdem sollst du Vater und Mutter ehren und den niegekannten Wohlstand mehren und immer pünktlich deinen FDJ-Beitrag zahlen.«
»Einstimmig«, sagte Heidewitzka unterm Tisch. Und tauchte mit einem Armvoll Bierflaschen empor. »Und wenn Mehlhorn nischt weiß, dann fragen wir mal den lieben Christian, jup twoja matj.«
Aber da sagte Spieß: »Ihr Arschlöcher«, sagte er, »macht erst mal Kinder, da könnt ihr mitreden!«
Das war, weil er schon wieder verlor.
»Mal im Ernst«, sagte nun Peter Loose. »Wir müßten einfach mal alle nicht mehr mitmachen. Einfach mal keine Kinder machen, müßten wir alle. Da sollst du mal sehen, wie sie angerannt kommen, die Regierer und so. Wer soll ihnen denn dann die Arbeit machen, nämlich in zwanzig Jahren, oder wie? Und wenn sie wieder mal Soldaten brauchen? Also die würden uns glatt ’ne Prämie anbieten, wenn wir wieder mal aufsteigen möchten!«
»Mein lieber
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