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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Hollenkamps weilten in der Schweiz. Hilmar mußte dann auch in den Betrieb zurück, der alte Bartholomäi kränkelte, der Herr Schubart fand sich in den neuen Marktbedingungen verstrickt, technisch lag faktisch alles bei Hilmar. Eigentlich hätte Irene ein paar Tage mitfahren können, die Bartholomäis hatten sie eingeladen, siebzig Kilometer, das war nicht die Welt, außerdem schickte es sich wohl. Aber sie fuhr nicht. Hilmar nahm es hin. Sie hätte ihm auch nichts erklären können.
    Sie blieb in dem leeren Haus, tat dies und ließ jenes, strenggenommen tat sie nichts. Sie langweilte sich nicht einmal. Die Eltern kamen acht Tage später, Hollenkamp braungebrannt, Marie-Luise blaß wie immer. Da wußte Irene, wie die Reise verlaufen war.
    Natürlich hatte Marie-Luise gleich alle Hände voll zu tun. Sie fuhr mit Irene einkaufen, telefonierte mit allen möglichen Firmen und Leuten, wenn sie im Haus war, redete sie unablässig von Preisen, von Mustern, von Besorgungen. Irenes unbegreifliche Zurückhaltung, wie sie es nannte, gab immer wieder Anlaß zu kleinen Reibereien. Zu ihrer Zeit sei das ganz anders gewesen, und überhaupt, in eine Ehe kann man doch nicht gehen wie zu einem Ausflug! Sie merkte gar nicht, daß sie da ein ziemlich treffendes Wort gefunden hatte. Die Hochzeit war auf Ostern kommenden Jahres angesetzt.
    Post hatte sich angesammelt, Verlobungsglückwünsche, Urlaubsgrüße von Bekannten, Unverbindliches. Hollenkamp und Irene schrieben einen Vormittag lang Antworten. Auch auf einen Brief aus Leipzig. »Unser lieber Neffe hat es also geschafft«, sagte Hollenkamp. »Man erlaubt ihm zu studieren. Also, der junge Mann entwickelt Charakter!«
    An Irene ging alles vorbei. Irgend etwas war nun endgültig zu Ende und irgend etwas begann. Sie vermißte aber weder |464| das eine, noch erwartete sie etwas von dem anderen. Dabei gefiel ihr Hilmar Servatius, vielleicht liebte sie ihn sogar, zumindest hatte sie nichts gegen ihn. Was aber war es dann?
    Sie hatte mit Hilmar geschlafen wie vorher mit Martin und das eine Mal mit Winfried Orgas. Daß es mit ihm anders war, konnte doch nicht an ihr liegen. Und überhaupt: es konnte doch nicht nur das sein. Es mußte doch mehr geben zwischen Mann und Frau als nur das. Es mußte doch etwas geben, das stärker war.
    Sie wußte, daß sie in der Zeit mit Martin Lewin immer gewartet hatte, immer gehofft, auf nichts Bestimmtes, gewiß, aber dennoch gewartet. Jetzt erwartete sie nichts. Wenn Hilmar kam, war es gut, kam er nicht, war es nicht schlimm. Sie hatte niemand, mit dem sie hätte darüber sprechen können, auch mit ihm nicht. Warum aber hatten sie sich denn verlobt? Eines Tages, mitten in eine jener kleinen, nun schon alltäglichen Verstimmungen hinein, sagte sie es Marie-Luise. Die schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: »Mein Gott!« und »um Himmels willen!« und »Kind, was ist nur in dich gefahren!« Später sagte sie: »Mich so zu erschrecken, und das während der Brautzeit!« Und noch später: »Man weiß ja nie, vielleicht ist es ganz gut, wenn man keine Illusionen hat. Natürlich ist die Ehe nicht nur ein Sakrament, das haben wir alle einmal erfahren müssen.«
    So verging der Sommer, es kam der Herbst. Hilmar sah sie selten, sie bemühte sich nicht darum, ihm schien es nicht aufzufallen. Bartholomäi & Schubart beanspruchten den größten Teil seiner Zeit, die Leitung der Firma ging immer mehr in seine Hände über. Wenn sie sich doch einmal trafen, spürte sie, daß er nichts vermißte. Er war gleichbleibend aufmerksam, gleichbleibend korrekt, gleichbleibend zärtlich. Aber vielleicht hatte er recht? Vielleicht war es überall so, und sie bildete sich alles nur ein? Schließlich war sie nicht mehr siebzehn. Es gab vielleicht doch Dinge, die jede Frau einmal durchmachen mußte. Dinge, über die man nicht spricht.
    |465| Also verging die Zeit. Besorgungen, Gesellschaften, ein Konzert, sehr viel Nichtiges. Manchmal besuchte Irene noch eine Vorlesung, aber im Grunde war es ihr gleichgültig. Sie verstand sich sogar wieder besser mit Marie-Luise. Wirklich gut jedoch verstand sie sich nur mit Hollenkamp. Der begriff manches, er nahm sie jetzt noch öfter im Wagen mit, ließ sie chauffieren, nach Frankfurt, nach Köln, auch rheinabwärts. Er sagte: »Das geht vorbei. Die große Krise vor der Konjunktur. Der Mensch kommt nun mal reineweg über alles weg, er will’s bloß nicht immer einsehen.«
    Sie kam sich alt vor.
    2.
    Martin Lewin erfuhr von Irenes

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