Rummelplatz
gibt beides, und was da wirklich war, das sieht man immer erst viel später. Und manches wohl nie. Und man muß trotzdem immer weitergehen, immer dorthin, wo noch nichts gewiß ist, oder fast nichts, und muß glauben, daß erreichbar ist, was einem gerade noch als erreichbar vorkommt, und noch mehr. Ja, dachte er, das muß man. Denn wir sind immer in Bewegung, also muß man da ein Antrieb sein, es muß eine Kraft wirken. Und wer nicht Antrieb ist, und wer nicht wirken will, und wer nicht wissen will, der bleibt immer Getriebener. Der bleibt immer ein Rädchen, und dreht sich, und dreht sich, und wird getrieben, und treibt irgend etwas, und kann nichts ändern.
»Ja«, sagte er. »Mir geht’s auch so.«
Und stand dort oben, wo Peter Loose stand, auf einem Hügel im Gebirg’, in Deutschland.
|459| III. TEIL
NÄNIE AUF DEN TOD EINES ARBEITERS
|461| XVI. Kapitel
1.
Ende Juli gaben Hilmar Servatius und Irene Hollenkamp ihre Verlobung bekannt. Freilich: bekannt gab Marie-Luise. Aber das tat, nach außen jedenfalls, nichts zur Sache. Die Feier fand, wie man früher gesagt hätte, im engsten Kreise statt; zugegen waren nicht ganz ein Dutzend Leute.
Anschließend fuhr das junge Paar drei Wochen an die See. Sie lagen im Sand, schlossen Bekanntschaften, schwammen nicht allzuweit hinaus, manchmal schrieben sie Ansichtskarten. Sie hatten sehr viel Zeit in der ersten Woche, viel Zeit in der zweiten, in der dritten waren sie froh, daß es dem Ende zuging.
In Hamburg unterbrachen sie die Heimreise für zwei Tage.
Die Stadt brütete in träger Betriebsamkeit.
Das sah aber nur Irene.
Hilmar Servatius verbrachte beide Vormittage bei Besprechungen mit irgendwelchen Geschäftsfreunden. Mittags trafen sie sich im Hotel. Sie hätten die beiden Tage gut und gerne bei Kortners wohnen können, den Hamburger Bekannten der Bartholomäis, Hilmars Großeltern mütterlicherseits, Bartholomäi und Schubart, Benzinmotoren. Aber Irene hatte im Hotel wohnen wollen; die Kortners zeigten sich leicht verstimmt.
Auch nach dem Essen wurde Hilmar an beiden Tagen von seinen Freunden abgeholt, hinaus an die Unterelbe zu irgendeiner Werft. Irene verstand von alldem nur, daß Bartholomäi & Schubart etwas mit Motorbooten im Sinn hatten. Die Nachmittage verbrachte Irene in der Stadt, allein, ging zu Fuß, nahm manchmal ein Taxi. Tunnels und Brücken, Geschäftsstraßen |462| und Marktbuden, Hochhäuser und Lagerhallen. Einmal fuhr sie mit der Straßenbahn, fand sich dann nicht mehr zurecht, bat einen Polizisten um Auskunft. Nahebei standen Frauen nach Südfrüchten an, um Irene kümmerte sich niemand. Eine Frau sagte: Hausfrau ist wie Durchfall, man rennt den ganzen Tag.
Den ersten Abend gingen sie ins Theater. Das Stück war als Komödie angekündigt, ein amerikanisches Nachkriegsstück, Irene verstand nicht recht, worum es ging. Das Theater war klein, zweihundert Plätze vielleicht, es war ein berühmtes Theater.
Für den zweiten Abend waren sie bei Röwe eingeladen, Michael Röwe, einem der Leute, mit denen Hilmar unterwegs gewesen war. Kleine Villa unweit einer großen Halle im Freigelände, vom Dachfirst stach ein Firmenschild in die Luft wie das Schwert eines kieloben treibenden Bootes, Michael Röwe Bootsbau. Im Hotel, bevor sie abfuhren, hatte Hilmar gesagt: »Es hat geklappt. Wir haben den Auftrag. Übrigens ganz nette Leute.«
Der Abend verlief so. Etwas über internationale Bootsklassen bei den Männern, Regatten, Geschwindigkeiten, PS, Konkurrenzen. Die Frauen begannen ›wie gefällt Ihnen Hamburg‹ und ›wie fanden Sie das Stück‹, aber es fand sich Stoff genug und fand sich ein Ton, so ging es. Michael Röwe trank ziemlich viel. Das Geschäft hatte er von seinem Vater, der war im Atlantik geblieben, U-Boot-Kommandant; es hieß, er habe mit dem 20. Juli zu tun gehabt. Später tranken auch die anderen, auch Hilmar, auch die Damen, auch Irene, es blieb aber immer innerhalb dieser Grenzen. Sie blieben bis gegen drei Uhr morgens. Da waren Herr Röwe und Herr Jenssen – Sie können ruhig Uwe zu mir sagen – bei gemeinsamen Kriegserlebnissen angelangt. Denn wir fahren gegen Engeland. Hilmar wollte dann unbedingt chauffieren, obwohl und obschon, und wer weiß, wieviel Promille. Es ging aber alles gut. Und vor dem Hotel war er fast schon nüchtern. Wunderte sich nur, als |463| auch er nach der Uhr sah, daß er offenbar den kürzesten Weg gefunden hatte.
Den 19. August waren sie wieder am Rhein. Das Haus stand noch leer, die
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