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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Schwan!« sagte Heidewitzka.
    »Oder wenn wir alle impotent würden«, sagte Titte Klammergass. »Also die würden vor Schreck gleich ’ne neue Moral erfinden, mit Harem und so. Und wer mehr als fünfmal kann pro Tag, der wird staatlich gekürter Besamer. Das würden |455| die alles machen, wenn das Vaterland in Gefahr gerät wegen Enthaltsamkeit.«
    Und spielte einen Null ouvert. Womit Christian die Runde bekam. Und trank ihm zu und wollte wissen: »Also und was sagt nun die Intelligenz?«
    Aber die sagte nichts.
    Sie wischte einen Bierfleck vom Tisch.
    Und das war denn auch das ganze bißchen Spaß an diesem Abend.
    Später, als die Kästen leer waren, ging Christian mit Peter Loose noch ein Stück den Berg hinan. In der Einschlagschneise hinter dem Lager, aus der man das Tal überblicken konnte. Die anderen waren zur Lagerkantine, Heidewitzka und Titte Klammergass, und Spieß auch, der aber nur auf einen Sprung, weil ihm der Sonntag noch in den Knochen läge, deshalb. Und Peter Loose, der hatte zuerst auch in die Kantine gewollt. Hatte es sich dann aber anders überlegt. Ein bißchen Luft schnappen und dergleichen. Und Christian war also mitgegangen.
    Er war also mitgegangen, bloß: er wußte nicht recht, warum. Es war fast wie damals, an ihrem ersten Tag im Lager, da war er auch hinter ihm her und zur Tür hinaus und ins Dorf, wie auf Verabredung, und immer nur von diesem Fischer weg. Und war ganz anders, weil es diesmal schließlich nicht der Fischer war, und überhaupt nichts in der Art, aber was war es?
    Sie stiegen immer noch aufwärts.
    »Da hast du’s also geschafft«, sagte Peter Loose. Sagte es geradeaus, wo er hinging, immer die Schneise lang. Manchmal spricht man so, wenn man zu zweit allein ist.
    »Wie man’s nimmt«, sagte Christian. Und blieb stehen. Denn es war andererseits eben: ein Anfang.
    Und sahen nun das Tal unten, mit den Schächten am Hang, den roten Lichtern am Schornstein der Papierfabrik und den weißen an den Halden, Frühjahr war, wieder ein Frühjahr, da wurde das Gebirge freundlich. Oben der Wind war behutsam |456| und führte etwas Bitteres mit von den Rinden der Bäume, und das Dumpfe war Vorjahrslaub und Erde, war Fäulnis und Trächtigkeit, und war noch anderes, das von weit her kam, das man spüren mußte oder schmecken vielleicht, und wußte keiner, was es war. Geräusche schon eher, die kannte man, dort das Rauschen der Halde, immer tiefer zum Wald, immer talwärts, und der Schleifton drüber, und der Anschlag, die Kipper und Züge, und das Kollern der Förderung. Aber das war fern, nahebei war Stille. Bloß ein Igel im Laub, und ein Vogel im Schlaf, bloß ein Nachttier im Strauch, und manchmal der Wind.
    »Weißt du«, sagte Peter, und sah über das Tal, sah immer dorthin, und sah Christian nicht an. »Jedenfalls, ich wünsch dir was.« Denn es war nun einfach, in dieser Nacht. Und was da vorging, und dieses ›wie man’s nimmt‹, das verstand er. »Im Krankenhaus«, sagte er dann, »also wenn man so daliegt, jedenfalls, das schlechteste war’s nicht, das hier. Und auch: daß es nie so bleibt, und daß immer was Neues kommen muß, und all das. Jedenfalls, mir geht’s so.«
    »Ja«, sagte Christian.
    »Vielleicht«, sagte Peter, »daß es die beste Zeit war, die ich hatte. Manchmal glaub ich es fast. Die schlechteste Mannschaft waren wir nicht, bei alledem, was war, und was wir so aufgezogen haben, das kann sich schon sehen lassen. Und was nun kommt, das wäre doch gelacht, wenn wir nicht die Nase vorn hätten dabei.«
    »Ja«, sagte Christian.
    Möglich, dachte er, daß ein Trick dabei ist. Aber was macht das schon. Irgendein Trick ist immer dabei. Beispielsweise: hinterher denkt man, das war doch alles folgerichtig und gut, wie es so gekommen ist. Man schiebt sich das zurecht, und die Niederlagen vergißt man leichter, und es bleiben die Erfolge, alles sieht plötzlich logisch aus und notwendig, als ob es immerzu geradeaus gegangen wäre. Ja, dachte er, es ist so. Aber vielleicht ist es gut, daß es so ist, wer weiß.
    |457| Vielleicht kommt der Mensch manchmal an eine Kreuzung, und ob er nach links geht, oder nach rechts geht, oder geradeaus weiter, das entscheidet sein ganzes Leben. Vielleicht, dachte Christian, vielleicht. Vielleicht auch, daß man die Kreuzung gar nicht sehen kann, und daß man nicht weiß, wenn man dort ist, man geht eben. Aber bestimmt gibt es auch Kreuzungen, die man sieht und bei denen gewiß ist, daß man sich entscheiden muß. So und so, es

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