Rummelplatz
bedrohlich, und plötzlich brach das Lachen heraus, ungeheuer, es kollerte, dröhnte, schütterte die Wände, füllte den Korridor, eine Tür flog auf, das spitzmäusige Gesicht einer Stenotypistin fuhr aus dem Rahmen, das sah Röttig, er schlug Zacharias auf die Schulter, deutete auf die Stenotypistin, die erschreckt zurückfuhr, immer mächtiger schwoll das Lachen, zu eng das Gebäude der Gebietsleitung, es barst hinaus durch offene Fenster, es grinsten die Kraftfahrer unten an der Garagentür, der Pförtner schmunzelte, Röttig stand, schnappte nach Luft, atmete tief, strotzend vor Lust, Kraft, Unbändigkeit, ein Frans-Halsscher-Zecher in einer Haarlemer Schenke – dieses Lachen war |540| legendär. Dann, tief atmend noch immer, noch immer das Spinnwebnetz um Augen und Mund, sagte er: »Was sag ich, diese Kerle, die klauen dem Teufel die Hörner und machen Bohrkronen daraus!«
Es ging aber über diesen Röttig das Gerücht, daß er täglich einen Waschkorb voller Briefe bekäme von den Kumpels, Hinweise beinhaltend, Beschwerden, Anträge, Vorschläge; Willi Röttig jedenfalls wußte immer, wo etwas los war. Zweitens, hieß es: Schlittenfahren mit ihm sei absolut unmöglich, und wenn’s der Kaiser von China wäre. Eines Tages, gleich zu Anfang seiner Sekretärstätigkeit, hatte er ein Zimmer bezogen, das war verziert mit einem an die Wand gemalten Spruch des alten Gauß: Es ist nicht das Wissen, sondern das Lernen, nicht das Da-Sein, sondern das Hinkommen, nicht das Besitzen, sondern das Erwerben, welche mir immer Freude gemacht haben. Der Spruch gefiel Willi Röttig. Gauß? War das nicht irgend so ein oller Rechenmeister zur Zeit Müntzers ungefähr? Er rief in der Gewerkschaftsbibliothek an und beauftragte die Bibliothekarin, ihm etwas über diesen Gauß zu besorgen. Die brachte eine Biographie. Bedeutender Mathematiker, Astronom, Physiker, Geodät, lebte von 1777 bis 1855, übrigens, wußte die Bibliothekarin, sei Gauß von Lenin sehr geschätzt worden. Röttig entschied: Der Spruch wird nachgezogen, neu gemalt, man muß etwas für die Bildung der Genossen tun, die hier hereinkommen, ferner ist die Erinnerung an die Großen der Vergangenheit wachzuhalten. Es erschien aber als erste die Genossin Melchior von der territorialen Bezirksleitung. Schnupperte in den frischen Farbgeruch, sah sich um, bemerkte den Spruch und war sehr befremdet. Maximen bürgerlicher Theoretiker im Zimmer eines Parteifunktionärs? Gehörten da nicht Marx, Engels, Lenin, Stalin hin, oder wenigstens Gorki, Majakowski, Liebknecht? Und von wegen »Da-Sein«, schon aus der Schreibweise schaue da der Idealismus heraus, es roch förmlich nach Liberalismus, Versöhnlertum, Aufweichung! Nun mußte sich Willi Röttig |541| aber sehr wundern. Er verkniff listig die Augen, unterdrückte das Lachen mit Mühe und fragte, ob die teure Genossin etwa den Genossen Gauß nicht kenne, einen Freund Lenins? Über soviel Banausentum wurde die teure Genossin aschfahl, verschluckte sich, hustete, rang nach Luft. Da ließ Röttig sein Lachen heraus, lachte die Genossin Melchior aus dem Zimmer, lachte sie Windstärke zwölf den Gang hinunter und aus dem Haus, lachte ein lockeres Stalin-Bild von der Wand und einen Org.-Instrukteur hinterm Schreibtisch hervor, lachte Zigarettenasche aus drei Aschenbechern und beruhigte sich erst, als der erste Sekretär herüberkam und fragte, was denn geschehen sei und ob der Genosse Willi vielleicht das Haus in die Luft sprengen wolle. Die Genossin Melchior äußerte später, dieser Röttig werde nie ein Parteiarbeiter, ein Praktizist sei das, ein Theoriefeind, ein ewiger Partisan. Willi Röttig, als er es erfuhr, sorgte seinerseits für Verbreitung: Weißt du, was dieses Abziehbild von einem Weib gesagt hat? Die weiß vielleicht, wer der tote Gauß war, aber vom lebendigen Röttig hat die keine Ahnung, sonst hätte sie sich nicht so auf den Arm nehmen lassen, hahaha! Derlei Röttig-Geschichten kursierten überall zwischen Johanngeorgenstadt und Ronneburg.
»So«, sagte Röttig, »’ne Menge Ärger, was? Stümpern die Buchstabenverdreher an der Arbeitermacht herum. Ich hab auch schon einen ganzen Sack voller Briefe. Schreib mir mal auf, was du so gesehen hast, und deine Meinung dazu. Paar Stichwörter, nicht so ’n Papierkram. Am Montag bin ich im ZK, da werde ich das vorbringen. Und wenn du sowieso nach Bermsthal fährst, geh mal bei Fischer-Hermann vorbei. Der weiß immer, was den Kumpel zwickt. Der hat das Ohr an der
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