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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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wenn sie heraufziehen im Schlaf, vor dem Schlaf, überm Schlaf, schwarze |533| Länder und Bahnhofshallen, Schatten vor Ort und das Labyrinth der Gänge. Es weigert sich einer, seiner Mitwelt ein Fremder zu sein. Es baut einer Dämme in den Strom der verordneten Träume. Die vierte Stunde, und die Stunde des Schweigens, die Stunde des Schlafs, das vierte Jahr. Strafsache Fischbach, Becker und andere. Vernehmung des Fischbach zur Person. Zweimal vorbestraft. Volkspolizisten mit Schlagring niedergeschlagen. Bei Haussuchung Hetzschriften gefunden sowie einen Marinedolch, eine Kleinkaliberpistole, Embleme der faschistischen HJ. Welche der Angeklagten kannten Sie vor dem Parkfest? Nun ja, den Siegfried Becker, Kroll, und Putlitz kannte ich vom Sehen. Die Menschheit in ihren erstaunlichsten Tieren. Und das rührende Plädoyer des Pflichtverteidigers, manche freilich hatten einen eigenen Anwalt, auch Bergschicker, aber der Pflichtverteidiger tut sein Bestes, wenn er auch bei dem Andrang nicht nachkommt, wenn er auch von der Schuldlosigkeit seines Mandanten nicht überzeugt ist, der Mann meint es gut. Es spricht aber eben zu vieles dagegen. Ja also der Angeklagte Loose, hohes Gericht, mißliche Familienverhältnisse, aufgewachsen unter Bedingungen die, fand zum erstenmal ein Kollektiv das, hat sich eingesetzt für, wie seine Arbeitskollegen berichten, und in Anbetracht seiner Jugend, seines wenig gefestigten Charakters, geben wir dem Gericht ferner zu bedenken.
    Es ergeht im Namen des Volkes folgendes Urteil. Die Angeklagten Fischbach und Becker sechs Jahre unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Der Angeklagte Loose vier Jahre unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Die Angeklagten Kroll, Putlitz, Seidel, Kronfeld, Kindermann und May zwei Jahre sechs Monate unter Anrechnung. Die Angeklagten Junge und Bergschicker ein Jahr sechs Monate.
    Auch Gefängnismauern gleichen einander nicht. Nicht einmal innerhalb des gleichen Gebäudes, diese hier hat andere Inschriften, Risse, darin Milben nisten, sie ist Außenwand, folglich kalt und feucht, weil Nordseite, Peripherie im |534| hohlen Wellengang des Verstummens. Vollkommener Stein, gesättigt mit Unausgesprochenem. Bergschicker, Verurteilter nun, Strafgefangener, ist auch da. Bergschickers Anwalt ist befreundet mit einem der Beisitzer, von dem weiß er, es hat eine lange und heftige Auseinandersetzung stattgefunden vor der Urteilsfestlegung. Es hat einer der Beisitzer, der Genosse Vogelsang, eine Rede gehalten. Sie müssen davon ausgehen, wie wenig von einem Menschen während der Prozeßführung normalerweise zum Vorschein kommt. Zwischen Staatsbürger und Staatsfeind darf man nicht eine Grenze ziehen vorher. Man muß alles berücksichtigen, nicht nur das allenfalls Straffällige. Ich halte dafür, daß nicht der Angeklagte uns seine Unschuld zu beweisen hat, sondern wir ihm seine Schuld. Und es ist nicht unser Ziel, die Leute einzusperren, wir brauchen sie übrigens, was im Augenblick nicht zur Debatte steht, nur: wir bauen den Sozialismus auf mit denen, die da sind, für die, die da sind, einen anderen Weg gibt es nicht. Also müssen wir uns kümmern um jeden. Außer in der Verfassung nachzulesen in den Beschlüssen unserer Partei. Bei einigen der Angeklagten steht aber beispielsweise die Beurteilung durch den Betrieb, die Aussage mehrerer Zeugen, der Lebenslauf, der persönliche Eindruck, das Verhalten vor Gericht in ziemlichem Widerspruch zum Tatbestand. Es ist gegeben der Tatbestand des Landfriedensbruchs, es ist dieser aber so gelagert, daß ich mich, mit Ausnahme der Angeklagten Fischbach und Becker, für die gesetzliche Mindeststrafe aussprechen möchte. Hat er den meisten hier aus der Seele gesprochen. Einer freilich versichert, es handle sich da um versöhnlerische Humanitätsduselei. Ergebnisse der Beweisaufnahme ins Gegenteil verkehrt. Und – fügt der Anwalt hinzu – es war da noch ein zweiter, einer von denen, die zu Fanatismus neigen aus Unsicherheit. Der meinte, Aufruhr und Konterrevolution müssen niedergehalten werden mit aller Unerbittlichkeit. Hatte auch seinen Lenin gelesen und zitierte: Wie schön wäre es, |535| wenn man allen Menschen über die Köpfe streicheln könnte, aber noch muß man manchmal draufschlagen. Nicht ganz originalgetreu freilich. Gibt es Leute, meinte der Mann noch, die machen die Justiz madig, die hätte der Feind unter Umständen schon lange hätte der, bekanntlich geht der Klassenfeind über Leichen, die könnten ihre liberalen

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