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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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dir sagen! |553| Natürlich haben sie sich Asche aufs Haupt gestreut, aber er hat gesagt, das sollen sie sich aufheben für ruhigere Zeiten, und was sie denn nun zu tun gedächten. Viel ist ihnen nicht eingefallen. Hat er ihnen also auch das noch plausibel gemacht, mit einer Engelsgeduld, da gehört schon was dazu. Uns hat er auch gefragt, was wir so dächten. Hab ich ihm gesagt, da soll er sich keine grauen Haare wachsen lassen, bei uns rollt’s. Auch mit den Normen. In der Möbelfabrik beispielsweise haben sie nämlich die Normen einfach um zwanzig Prozent erhöht, administrativ. Hab ich ihm gesagt, das kommt für uns nicht in Frage. Unsere Normen entwickeln sich ständig, da brauchen wir keine Kampagne und keinen, der die Norm einfach vorschreibt: wir erklären das den Kumpels, und die machen das selber, und unsere Genossen immer zuerst. Wer besser leben will, muß besser arbeiten, das versteht jeder. Aber ich hab ihn gefragt, ob er uns die Geschichte mit den Arbeiterrückfahrkarten mal erklären könnte. Das hat das Maß nämlich vollgemacht. Weniger bei den Kumpels, aber du müßtest dir mal anhören, was sie beispielsweise in der Papierfabrik sagen, bei ihren niedrigen Löhnen. Nichts Genaues hat er aber auch nicht gewußt. Nur, daß die Sache überprüft würde, soviel er gehört hätte. Dann hat er gesagt, daß er sich erkundigen will, und in drei Wochen spätestens bekämen wir Antwort. Damit waren alle einverstanden. Und es hat imponiert, daß er sich nicht einfach was aus dem Daumen gelutscht hat. So daß ich also den Eindruck habe: es tut sich da einiges.« Erzählte er, und sah dabei immer dem Rauch zu, dachte wohl auch noch einmal über alles nach, während er Satz für Satz vorbrachte, das war seine Art. Den Eindruck, sagte Zacharias, habe er auch. Und sprach von Reimers, von Röttig, auch von Holzgräber und von dem, was ihm während der Fahrt durch den Kopf gegangen war, er fügte aber hinzu: nur, daß es überhaupt soweit kommen mußte …
    Die Katze ließ sich die Liebkosung gefallen, seitlich ausgestreckt schnurrte sie friedlich, den Kopf auf dem festen |554| Stoff des Rocks, hob ihn aber, als Ruth sagte: »Manche arbeiten fünfzehn Stunden am Tag, und zehn davon umsonst, da bauen sie wieder auf, was irgendeiner eingerissen hat mit einem Federstrich. Wie ihr da so ruhig bleiben könnt, das geht mir nicht ein. Wir können’s ja abwarten, es muß alles wieder ins Lot kommen, für uns steht das fest. Es gibt aber viele, die warten nicht, und manch einer kann’s gar nicht. Und wenn sie dich fragen, warum wir immer von den Fehlern anderer Leute reden und von den eigenen kein Wort, immer bloß die Erfolge, und ob sie etwa ihren eigenen Augen nicht mehr trauen sollen – was willst du antworten?« Und sah ihn an, Zacharias, mit ihren aufmerksamen Augen und mit dieser seltsamen Bestimmtheit, die wohl betroffen macht, weil man von Jüngeren nicht erwartet, was so selten geworden ist bei den Älteren. Und es komme ihr natürlich nicht belanglos vor, wie etwas habe soweit kommen können, aber es sei wohl doch die zweite Frage nach jener anderen, wie man nämlich ändern könne, was ist. Auch sei ihr klar, falls er das für erwähnenswert befände, daß es noch genügend Leute gäbe, die derlei Fragen verbreiten nicht um der Antwort willen, sondern in der Absicht, die früheren Verhältnisse oder genauer die westlichen damit erstrebenswert und anziehend zu machen. Ihre Frage aber sei nicht Kapitalismus oder Sozialismus; sondern Sozialismus, wie er gegenwärtig aussieht für die meisten, und Sozialismus, wie er aussehen könnte und gemacht werden muß – so schnell und gut als möglich. Was er also sagen würde, wenn jemand damit zu ihm käme in ehrlicher Sorge und Ratlosigkeit …
    Und das wußte er so schnell nicht.
    Zum Beispiel, wenn die Frage so gemeint war, daß er sich an ihre Stelle denken sollte? Ja, aber was wußte er von ihr? Fischers Tochter, die auf den Vornamen Ruth hörte, und es gab bestimmt immer mal Leute, die glaubten, sich etwas denken zu müssen dabei: sie war etwa das, was er sich immer unter dem Stereotyp ›Unsere Jugend‹ vorgestellt hatte, war’s, |555| seit er sie kannte, so lange kannte er sie aber noch nicht. Freilich hatte er mitunter daran gedacht, daß diese Jugend die Dinge wohl anders sehen würde als jemand in seinem Alter und seiner bedingten Erfahrung, für sie war Ausgangspunkt, was für ihn immerhin Erreichtes war, und unter welchen Mühen erreicht, welchen Opfern.

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