Rummelplatz
Kleinbürgertum, der Mittelstand, die Bauern, die Intelligenz? Wie verhalten sie sich zum Staat? Unter kapitalistischen Bedingungen kann nur eine verschwindende Minderheit von ihnen aufsteigen zur Bourgeoisie oder der privilegierten Beamtenschicht, die gewaltige Mehrheit aber wird von den Monopolen und den Regierungen unterdrückt und schließlich ruiniert. Müßte diese Erfahrung sie nicht zu potentiellen Verbündeten der Arbeiterklasse machen, vorausgesetzt, sie wird ihnen bewußt? Müßten sie mit der Arbeiterklasse nicht auch übereinstimmen im Interesse an der Erhaltung des Friedens? Zweifellos. Aber andererseits: solange Restformen des Privateigentums an Produktionsmitteln existieren, solange existiert der ihnen innewohnende Trend zu kapitalistischer Entwicklung und Expansion. Also müssen auch die Restformen vergesellschaftet werden, und das geht nicht ab ohne den Widerstand der Betroffenen. Ja, aber Marx hielt viele Formen der Vergesellschaftung |549| für möglich und sprach von einem Prozeß. Liegt es im Interesse der Arbeiterklasse, diesen Prozeß zu forcieren durch Kreditbeschränkung, verschärfte Steuermaßnahmen, Entzug der Lebensmittelkarten? Ist den durch die Spaltung entstandenen Disproportionen in der Wirtschaft nur um diesen Preis beizukommen? Muß die Forcierung nicht die Spannungen verschärfen und damit die nationale Frage? Ist es nicht ratsamer, die Bauern und den städtischen Mittelstand zu gewinnen durch Wahrung ihrer Interessen im Rahmen des gesellschaftlich Möglichen und um den Preis ihres Beitrags zum Aufbau des Sozialismus? Arbeitet nicht die Zeit für uns, und ist es nicht besser, unseren nationalen Besonderheiten entsprechend neue Wege des Übergangs zu suchen? Also Zeit gewinnen und
mit der Zeit
gewinnen?
Ja, dachte Zacharias, erzähl das einem Holzgräber, der hält das für puren Revisionismus und läßt die Glocken läuten. Woher dieses ungeheure Garantie- und Sicherheitsbedürfnis, das im Namen der Verteidigung sozialistischer Errungenschaften am liebsten alle Freiheiten und Errungenschaften aufheben möchte, die wir erreicht haben oder erreichen müssen? Woher dieses Riesenbedürfnis nach Mätzchen? Wir haben die bessere Sache – das ist unsere Sicherheit! Es liegt an uns, ob wir die größere Anziehungskraft haben werden, den größeren Wohlstand, die besseren Ideen, die bessere Art zu leben. Ja, dachte er, der verdammte kleinbürgerliche Horizont – das ist es. Die Unfähigkeit, etwas Eigenes hervorzubringen, und das gedankenlose Nachplappern alter Sätze: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Aber wir haben die bessere Sache und haben die Macht, wir haben die Zeit auf unserer Seite und die sanfte Gewalt der Vernunft: Wer nicht gegen uns ist – ist für uns …
Aber da kam der Schlagbaum in Sicht. Immer kommt irgendwo ein Schlagbaum in Sicht. Gegebenheiten immer, der besseren Anschauung wegen.
|550| Rot-weiß, weithin sichtbar, Postenhaus grün, Sperrgebietskontrolle. Wo war der Propusk? Brusttasche nicht, Brieftasche nicht, Gesäßtasche. Wäre ja auch noch schöner. Sah aber der Posten nur beiläufig herein. Fummelte am Riemen seiner M-Pi. Charascho, jechatj, weiter. Außerordentlich sinnvolle Beschäftigung das, als ob paar Meter waldwärts nicht passieren könnte, wer will. Und ein Spruchband kam auf, besagend, daß der Marxismus allmächtig weil wahr sei, und ferner die vollkommenste und durchdachteste und so weiter. Bei der Gelegenheit. Könnte man also auch erst Fischer dann Objekt dann: kleine Kursänderung. Gönnen wir uns einen von Fischers Nikolaschkas.
Also: allmächtig. Kommt aber unseres Wissens auf Erden nicht vor und: eine Lehre, von der immer gesagt wird, sie sei vollkommen durchdacht, kommt leicht in den Geruch, daß sie weiteres Nachdenken erübrigt. Eine Partei, die sich einredet, sie habe immer Recht, gerät in die fatale Lage, auf Irrtümer gar nicht mehr eingerichtet zu sein, sie fängt an zu stottern. Also – fertige Sätze an alle Wände gepinselt, und meistens Endsätze, Ergebnisse eines komplizierten Gedankens, einer schwierigen Analyse. Für sich hingestellt, gerinnen sie zu Schlagwörtern, zu Superlativen, und kein Mensch versteht mehr den lebendigen Inhalt. So werden die Leute daran gewöhnt, in fertigen Sätzen zu denken, statt den Gedanken nachzugehen, die zu den Sätzen geführt haben. Statt zu sagen: die Sache ist einigermaßen kompliziert und bedarf der Anstrengung, sagen wir viel zu oft: es ist alles ganz einfach. So wird die
Weitere Kostenlose Bücher