Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
interessanteste Sache der Welt unversehens zur langweiligsten. Weil nämlich den Normalmenschen gerade die Schwierigkeit reizt. Das zu Klärende – nicht das Geklärte. Weil nämlich alles vom zu Erreichenden lebt, und wer bleiben will, wo er gerade ist, sollte Reiseandenken machen, aber nicht Politik. Dachte er und spähte hinaus, ob nicht ein nächstes Transparent käme. Es kam aber gerade keins.
    Sondern die Siedlung.
    |551| Gilbe Grasbüschel, holpriges Kopfsteinpflaster, Wolfswinkel. Die Fenster der niedrigen Häuser waren geöffnet. Der Wagen bog im zweiten Gang in die winkligen Gassen hinter dem Friedhof. Eine dicke Frau saß auf der Bank vor der Kirche; der bei ihr stand, schwarz und würdig, dürfte der Pfarrer sein. Ein Haus, so niedrig, daß man aus der Dachrinne trinken könnte. Der Weg nun ansteigend, ungestrichene Gartenzäune, verwittert. Vorm Konsum eine Schlange von zwanzig Frauen, eher mehr. Gegenüber der Gasthof meldete Ruhetag, es saß einer auf der Treppe und spielte Mundharmonika. Nun die neue Straße, Siedlungshäuser einstöckig, Neubauten dahinter, zweistöckig. Fischers Häuschen schließlich ganz am Ende, halb von Linden verdeckt, schattig. Hänschenklein, den Wagen unter den Bäumen parkend, wollte wissen, wie lange man aufnehmen könne. Na, so ein zwei Stündchen. Hau ich mich also büschen hinter die Büsche, Tawarischtsch. Nehm ich ein Auge Schlaf inzwischen. Zacharias kletterte aus dem Wagen.
    Hermann Fischer hatte den runden Gartentisch hinterm Haus stehen, er saß da und las Zeitung, und ein Fenster stand offen, da spielte leise das Radio. Fischer blinzelte in die Sonne, den Kopf zurückgelehnt, rauchte er geduldig und mit langen Pausen aus seiner kurzen Pfeife, Solotoje Runo, den es im sowjetischen Magazin zu kaufen gab, man roch das sofort. Er sagte: »Ach du bist’s«, als Zacharias aus der Dämmerung des Hausflurs trat, und er wunderte sich nicht. Er legte nur die Zeitung auf den Tisch, glättete sie sorgfältig mit dem Handrücken, die Hand blieb dann bei dem Kaffeetopf aus dickwandigem bemaltem Porzellan. Zacharias wollte die Katze nicht stören, die auf dem zweiten Stuhl lag und sich träge streckte, die den Kopf am bunten Wollkissen rieb und sich schläfrig zur Seite fallen ließ auf Ruth Fischers graue Strickjacke. So holte er den Rohrstuhl von der Hausecke unter Hermann Fischers Apfelbaum. Den rückte er an den Tisch und streckte sich aus, und die Katze blinzelte schläfrig herüber; so war es gut.
    |552| Dann kam Ruth Fischer aus dem Haus. Zacharias freute sich, wie sie ihm einfach die Hand gab, als ob er täglich ein und aus ginge und als ob er dazugehöre, er sagte auch weiter nichts, nur: »Na, du?« Als sie sich setzte, kroch die Katze auf die Armlehne und machte einen Buckel und sprang ihr dann auf den Schoß. Fischer aber stand auf und ging ins Haus und kam mit den Gläsern zurück und einer Zitrone, die er in dünne Scheiben geschnitten hatte, Brot dazu, wie es hier gebacken wurde, und die dunkelgrüne Flasche. »Einen kleinen«, sagte er. Er goß mählich ein und ohne Eile. Dann saß er, die breiten Hände auf die Armlehnen gestützt, rauchte bedächtig und sah seiner Tochter zu, die den Kopf leicht schräg hielt und zum Holzschuppen hinübersah, als wäre da etwas, das nur sie wahrnehmen könne. Zacharias aber dachte, wie gut es wäre, wenn er einen Ort hätte, wo er so dasitzen könnte, die Hände so hinlegen könnte und seiner Tochter zusehen nach der Arbeit.
    »Tja«, sagte Fischer, und er sah dem Rauch nach aus seiner Pfeife, »sag mal, kennst du einen Gregor?«
    Zacharias dachte nach.
    »Hier hat ihn auch keiner gekannt«, sagte Fischer. »Der war paar Tage in der Gegend, hat sich die Papierfabrik angesehen und paar andere Betriebe und hat mit den Leuten geredet, einer in unserem Alter. Das war mal ein gründlicher Mensch. Den hat also das ZK geschickt, und zwei waren dabei aus der Bezirksleitung, und im Nachbarkreis waren auch welche. In der territorialen Kreisleitung hat er sich bloß mal kurz umgesehen und hat auch da einige beauftragt, und dann haben sie Verschiedenes untersucht. Am Ende hat er dann eine Beratung angesetzt, da waren auch welche von uns eingeladen, obwohl er für die Wismut nicht zuständig wäre, hat er gesagt. Jedenfalls: es hat sich mancher gewundert. Wie der in acht Tagen herausgefunden hat, was die Hiesigen im ganzen Quartal nicht bemerkt haben. Das hat er verglichen mit den Berichten, die sie immer geschrieben haben – ich kann

Weitere Kostenlose Bücher