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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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eine Glocke aus Blei, die Erde überzog sich mit Staub, sie lag erschöpft in der Hitze des Mittags, auch die Tiere waren erschöpft, auch die Menschen. Die Pferde gingen mit hängenden Köpfen und müden Bewegungen vor den Wagen. Wenn sich Wolken zeigten hinter den Bergen, wurden sie unruhig, aber die Wolken zogen immer am Tal vorbei, kamen nicht herein, als ob auch sie nicht die Kraft hätten. Nur die Eisenbahn kam herein, brachte wenig Menschen, manchmal Maschinen für die Bergwerke, einmal Traktoren. Die Erzzüge hingegen verließen das Tal regelmäßig. Es war Bewegung unter der Erde, aber die Felder waren tierleer und menschenleer, die Hitze schlug zurück von den Steinhalden, glühte den Straßenstaub, sengte das Korn und verbrannte die Wiesen, der Weizen setzte braune Ränder an. In den grauen Hallen |558| der Papierfabrik stieg das Thermometer auf vierzig Grad. Der Rauch über dem großen Schornstein stand reglos. Im Dorf konnten die Kinder nicht barfuß über die Straße gehen. In den höhergelegenen Häusern versiegte das Wasser. Selbst der Wald knisterte vor Trockenheit.
    Und mit den wenigen Menschen war Christian angekommen, in der Stunde des Schlafs, mittags.
    Die Glocke aus Blei dröhnte, niemand schwang sie. Der Bahnsteig wankte in der Sonne, die schlug mit glühenden Äxten herab, goß Spiegel aus flüssigem Metall: Fenster, Dächer, Schienen, aber es war ein grelles Land über den Augen und schmerzhafte Stille, wie wenn ein Ton aufwärts gezogen wird an die Grenze des Hörbaren und plötzlich wegbleibt, man weiß aber, er ist noch da, drohend, da war alles Gewisse unwahr, alles Künftige ungewiß. Wenig Menschen, und auch die schon vergangen, der Bahnsteig leer, ein Gepäckkarren wie ausgebrannt, und alles so träg, und alles so reglos. Er wollte schneller gehen, das gelang nicht. Das Mühlrad mahlte, und die Bahnsteigkanten verschwammen, das Betonband kippte weg zu seinen Füßen und kam nachgiebig wieder – erreichte aber doch den Personentunnel und die kühle Luft am Grund, den tiefen feuchten Modergeruch und die Dämmerung, es gab noch Konturen. Und hörte nun auch seinen Schritt wieder, der von den Wänden kam und von hinten und später von vorn, als die Mitte überschritten war. Und war doch eine freundlichere Ankunft gewesen, und nicht nur für einen, dem dieser trübe Himmel das unfreundlichste war, das nur kommen konnte, denn immerhin: irgendwo war ein Ende, da reichte die Glocke nicht hin, da war Schatten, und im Schatten begann die Gemeinsamkeit. Schwitzende Männer, zusammengedrängt von der Hitze draußen, aufatmend hier, Zuflucht suchend, Bierhähne, die nur noch eine Unterbrechung kannten, das Anstecken des neuen Fasses, und konnten doch den Durst nicht stillen, und auch die Kellner konnten nicht tragen, was verlangt wurde, und dieses schwitzende |559| Leben, dieses Geschrei, diese brodelnde Fröhlichkeit ausgedörrter Männer, dieses lärmende, dampfende, deutsche Gedräng –
    Der Regen war anders. Er trug seine Verdrießlichkeit in die Innenräume, an leeren Schaltern vorbei, über feucht-schmutzige Fußböden, in die mürrische Luft der Wartesäle, den sauren Geruch der Pissoirs, in die düsteren Gaststuben. Und die Kneipe war leer oder doch fast leer, eine fröstelnde Gestalt im Regenmantel, sonst niemand. So kam er an, Christian Kleinschmidt, um die Mittagszeit, aber was sagt das schon. So fand er einen Stuhl. Der Busfahrplan hing am alten Platz, das wenigstens, es blieb eine Stunde.
    Dann kam eine schläfrige Kellnerin.

    Das war am 10. Juni, mittwochs. Die Erinnerung, wenn sie hier anknüpfen wollte, mußte zehn Monate überbrücken: die hohen Fenster des Instituts, Hörsaalbänke, lange Stunden vor schwarzen Tafeln und über Tabellen gebeugt an den schmalen Arbeitstischen des Internats, die Bücherkolonnen über dem Bett, die Gesteinsproben, dann Seminare, Klausuren, Versammlungen, Debatten in den Seminargruppen und in Korridoren und auf dem Zimmer manchmal noch, das er mit Thomas Kieselack teilte, zwei Betten zwei Bücherborde zwei Arbeitstische und der gemeinsame große Schrank, Papierkorb, Klubtisch; Thomas der Steinköhler, der nicht zurückwollte dorthin, sondern nordwärts, wo das Kali wuchs, K 2 O, Umrechnungskoeffizient auch ohne und also KCl etwa, da wollte er hin. Das wenigstens hätte die leisten müssen, Erinnerung, aber sie kam nicht. Blieb vielmehr hängen hier und dort, denn dies war näher.
    Thomas also. Der war zum Landeinsatz gefahren mit den meisten

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