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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Verhinderung künftiger Verbrechen, haben begonnen mit nichts in den Händen und wenig Erfahrung und müde von langer, bitterer Verfolgung; und unser Kind, das aus einem gequälten und geschundenen Leib kam in unerhörter Geburt, es ist noch schwach, und kaum eine Kinderkrankheit blieb ihm erspart, aber es ist unser Kind, und wir schützen es mit unserem Leben und lieben es wahrhaft. Gewiß, vielleicht hat der eine von uns es ein wenig verzärtelt, der andere hart oder ungerecht gestraft – aber bedenkt, die ihr nun die Hand hebt, bedenkt, daß wir wenig Zeit hatten und daß der Feind uns immer umschlich mit seinen Wiegenliedern und seinen Steinwürfen in unsere kaum gedichteten Fenster, so daß uns die Kälte ins Haus kam immer aufs neue, bedenkt dies – und bedenkt, wie unser Feind aus allem, was wir tun, seinen Nutzen zu schlagen sucht, aus dem Gelungenen wie dem Nichtgelungenen, aus der Konsequenz wie aus der Abweichung, bedenkt, daß dies den Feind in den eigenen Reihen und den Irrenden stark macht, und wie leicht es ihm so fällt, unerkannt zu bleiben und die Erörterung seiner Taten zu verhindern mit der falschen Weisheit, daß es dies wäre, welches dem Feind nützt, bedenkt dies, und vergeßt über dem Heutigen das Künftige nicht, denn das ist es, was unserem Leben Sinn gibt – oder uns tötet. Dies bedenkt, und nun hebt eure Hand, nun werft |595| euren Stein, verhindert die Korrektur der Irrtümer, verhindert die Wahrheit, holt euren Feind ins Haus, dreht das Rad zurück! Es läßt sich tatsächlich zurückdrehen. Zwei Speichen vorwärts, eine zurück. Das war in ihm. Und: daß der Feind nicht durchkommen durfte, trotz alledem!
    Drei Kilometer vor Halle, und dieser Geruch von Chemie und Malzkaffee war schon in der Luft. Sie kamen an einer verlassenen Baustelle vorbei, Tiefbau, da ging ein alter Mann und sammelte Spitzhacken auf. Einen Kilometer weiter passierten sie einen Trupp von dreißig Leuten etwa, die auf die Stadt zumarschierten, das konnten aber gut und gern die von der Baustelle sein. Na, Chef, sagte Titte Klammergass. Und meldete beiläufig Bedenken an, ob also die Normerhöhung tatsächlich zurückgenommen wäre, ob sich Hermann Fischer nicht vielleicht verhört hätte. Und dieser Titte Klammergass las natürlich keine Zeitungen, hörte auch keine Nachrichten, soviel ist sicher. Fraglich ist bloß, ob das ausschließlich an ihm liegt. An euren Verblendungen sind wir selten unbeteiligt, hat mal einer gesagt. Und hat gesagt: Das Gute muß auch gut gemacht werden, es ist sonst das Gute noch nicht. Das hat mal einer gesagt. Und das ist wohl von diesem und jenem ungenügend berücksichtigt worden. Ja. – Aber mitten im Abbau der Gerüchte? Sollte es sich da wirklich nur um Irrtümer handeln und um Unzufriedenheit? Sollte da nicht doch noch einer daran gedreht haben? – Geschichte ist nun einmal so.
    Nun die ersten Häuser der Stadt. Fabrikschornsteine, graue Mauern und der Himmel drüber grau, Straßenbahnschienen. Und sie mußten nicht lange fahren, da trafen sie auf eine Menschenansammlung, die erste, auf die zweite trafen sie wenig später, diese aber bewegte sich über die ganze Straßenbreite ihnen entgegen, Titte Klammergass konnte gerade noch in eine Seitenstraße ausweichen. Sie umfuhren den ganzen Häuserblock und kamen danach auf die Hauptstraße zurück, hatten die Menge im Rücken, vor sich nur noch vereinzelte Nachzügler. Mein lieber Mann, sagte Titte Klammergass. |596| Indes der Rundfunk im amerikanischen Sektor verlautbarte, sicheren Meldungen zufolge habe der Aufstand übergegriffen auf Halle und Bitterfeld, Merseburg und Eisleben, auf Chemnitz, das nun freilich Karl-Marx-Stadt hieß, auf Magdeburg und auf das Erzgebirge … Sicheren Meldungen zufolge, dachte Hermann Fischer. Wo bleiben unsere sicheren Meldungen, woher stammen die ihren. Und sah einen weiteren Trupp ankommen, direkt aus einem Fabriktor heraus, einige noch in den blauen Arbeitsanzügen, unschlüssig über die Richtung und wie kopflos, kamen sie – was haben wir versäumt, wenn die Arbeiter ihnen auf den Leim gehen, dachte er, was haben wir falsch gemacht, wenn sie uns nicht mehr vertrauen? Aber er wußte um die Antwort, er war voller Bitterkeit und voller Zorn, sah sie kommen in den engen Straßen dieser Stadt und sah, wie einmal andere Arbeiter hier marschiert waren für andere Ziele, und hatten gekämpft mehr als zehn Tage lang gegen die Übermacht der Polizei, der Reichswehr, waren zusammengeschlagen worden,

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