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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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wie mit dem Beil behauen. Ganze Wälder, die hinabgeschickt werden. Ganze Felsmassive, die da heraufkommen.
    Rasselnd fahren die Fördergestelle nieder. Drüben, am B-Schacht, fahren andere aus mit dem Sog der Pulvergase, der ausziehenden Wetter. Dazwischen die Metamorphose des Gesteins, der Gebirgsdruck, die Technik der Ingenieure. Dazwischen der Kampf, die Erschöpfung, die Dunkelheit. Die Produktionsziffern, und die Flüche dagegen. Die Planzahlen, und die Anstrengung dafür.
    Und aus allem das Erz.
    1.
    Nach vierzehn Tagen begann Christian Kleinschmidt sich an diese Arbeit zu gewöhnen. An ihre Schwere, ihre Dunkelheit, an die Enge der Querschläge und des Überhauens. Die ersten Tage war er nach der Schicht auf seinen Strohsack gesunken, ausgelaugt, oft ohne sich gewaschen und umgezogen zu haben. Er war sofort eingeschlafen; wieder auf die Beine bekommen hatten ihn die anderen erst kurz vor der neuen Schicht, mit schmerzenden Gelenken, mit bleiernem Schädel. Er war abgemagert, das Essen schmeckte nicht, mitunter war er über der Suppe eingeschlafen. Er hatte auch kaum Hunger verspürt, nur dieses klebrige Durstgefühl.
    |102| Aber nicht der Schacht bedrückte ihn. Die zweihundert Meter Gestein über seinem Arbeitsplatz bedrückten ihn nicht und nicht ihre Masse. Auch die Sprengungen beunruhigten ihn nicht, das Flüstern des Gebirgs, der Lärm der Kompressoren. Nur die Härte der Arbeit. Der Gedanke an die täglich zu sackenden Hunte lähmte seinen Willen, ängstete seinen Schlaf, vergällte jede wache Minute zwischen den Schichten.
    Wie Hermann Fischer gesagt hatte, war Christian als Fördermann eingesetzt worden. Sträflinge ritzen Kalenderstriche in die Zellenwände, für jeden abgebüßten Tag einen. Christian schnitt Kerben in die Randleiste seines Nachtschemels, eine für jeden Arbeitstag. Vierzehn Tage lang. Dann ließ er einen aus, nach einer Schicht, die so hingegangen war. Er besah sich die Kerben, zu fünfen gebündelt, er dachte: Ich bin doch kein Zwangsarbeiter. Oder ist es ein Urteil, wenn man hierher geht, freiwillig? Er kerbte aber weiter, bis zum zwanzigsten Tag.
    Die einundzwanzigste Schicht fuhr er in einer hohen Novembernacht. Die ging weit über die Erzgebirgskämme, ein bleicher Mond goß Kälte in den Schachthof. Harte Schatten standen neben den Lattenzäunen, standen im Winkel zwischen Förderturm und Berglehne. Christian lehnte am Geländer der Hängebank, er konnte durch ein ausgespartes Viereck im Holzturm den Himmel sehen. Es war windstill, dennoch zog kalte Luft herein. Wasser tropfte aus dem Gebälk, auf die steife Gummijacke, Christian fröstelte.
    Das Wasser war schon am ersten Tag getropft, es würde weitertropfen in alle Ewigkeit. Unerfindlich, wo es herkam, da war nichts als Holz oben und die Seilscheiben und das Stahlseil. Und das Viereck Himmel drüber. Aber von dort kam das Wasser nicht.
    Das aufziehende Seil floß langsamer. Christian hörte den Korb gegen die Schachtverschalung poltern, die Trägertraverse hob sich aus dem Schachtmund. Das Stangengitter rasselte in die Höhe. Acht Männer betraten die Hängebank, |103| nacheinander, fahle Schädel über steifpanzernen Brustkollieren, sie gingen vorbei wie eine Prozession. Drei mit lehmig verschmierten Gesichtern, die kamen von der oberen Sohle.
    Christian nahm sein Geleucht und kroch unter dem Gitter in den Korb, unwirklich laut wie in einer Kirche das Signal zur Mannschaftsförderung. Der Boden wippte, hob sich, sackte nach unten weg. Dann tanzten die Hölzer der Verschalung vorbei, zählbare Sprossen einer nach oben steigenden Leiter, ein Gleichmaß, in dem sich das Fallgefühl aufhob. Das war nun ein vierzigmal erlebter Vorgang. Es blieb dennoch ein Abenteuer.
    Neben Christian lehnte ein buckliger Schießmeister – sie kannten sich aus dem Schichtbus, sie fuhren immer im gleichen Wagen, aber sie hatten noch nie miteinander gesprochen. Der Schießmeister trug die Handlampe an einem Riemen über der Brust, alle anderen fuhren mit den schweren Mannschaftslampen, den Bomben, zehn Pfund an einem S-Haken aus Eisendraht. Sie hielten die Lampen niedrig, das Licht schnitt kantige Schatten in die Gesichter. Der Schießmeister sprach mit keinem hier. Bis sechsunddreißig war er Obersteiger gewesen, dann Berginspektor in den oberschlesischen Gruben; wenn einer etwas vom Bergbau verstand, dann er. Degradiert nun, unter die Mannschaft geworfen, Neulinge über sich, Dilettanten. Weil er den braunen Rock angezogen hatte, Sturmführer

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